ESG-Paradox: Einfach zu verkaufen und trotzdem nicht angeboten

ESG-Paradox schreibe ich, weil sich gute „verantwortungsvolle“ Investments bisher oft nur schlecht verkaufen: Wenn man Anlegern einen verantwortungsvollen und einen traditionellen Fonds anbietet, wählen 81% den verantwortungsvollen Fonds, sagt Peter Tros von ING. Laut einer Studie sind etwa drei Viertel aller niederländischen Anleger bereit auf Rendite zu verzichten, wenn sie verantwortungsvolle Investments kaufen können (Quelle: Leen Preesman: Dutch investors prepared to forgo on returns to support ESG causes, Investments and pensions Europe, 11 Oct. 2018 ) Dabei bringen verantwortungsvolle Investments eher höhere als niedrigere Renditen (s. hier). 

ESG-Paradox: 600 verantwortungsvolle Fonds ist nicht viel

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden deutschen Anlegern sehr viele nachhaltige Angebote gemacht. So gibt es bereits über 600 Investmentfonds, die „explizit auf Nachhaltigkeitsaspekte abstellen“ und insgesamt knapp 159 Milliarden Euro verwalten (siehe Heino Reents: Regulatorik treibt nachhaltige Kapitalanlagen an, CapInside.com, 9.10.2018 mit Verweis auf eine Analyse der Ratingagentur Scope). Aber „in fast allen Nachbarländern ist der Marktanteil nachhaltiger Anlagen deutlich höher als in Deutschland“ (siehe Ralf Breuer: Wie die deutschen Banken den Megatrend „Green Finance“ verschlafen“, finanz-szene.de vom 24.9.1018).

ESG-Paradox: Nur etwa 50 konsequente Angebote

Das Problem ist, dass viele der Anbieter sogenannter verantwortungsvoller Fonds lax mit dem Verantwortungsbegriff umgehen (siehe Stephanie Mooij: Asset Managers’ ESG strategy: Lifting the veil, Smith School of Enterprise and the Environment Working Paper 25th of November 2017). So werden zwar einzelne Ausschlüsse genutzt und teilweise auch Environmental, Social und Governance (ESG) Kriterien, aber diese führen selten zu starken Abweichungen der Portfolios von vergleichbaren traditionellen Fonds oder Benchmarks. Der Verdacht, dass verantwortungsvolle Kritierien vor allem zur besseren Vermarktung genutzt werden, liegt nahe. Und das wird zurecht als sogenannntes Greenwashing kritisiert.

Das Angebot von Portfolios, bei denen ESG Kriterien den einzigen („PureESG„) bzw. einen überwiegenden Einfluß auf die Wertpapierselektion haben, ist noch sehr klein. Am ehesten sind hier ESG- oder SRI-ETFs zu nennen (SRI: Socially Responsible Investments), für die in Deutschland bisher noch nicht einmal zehn Milliarden Euro eingesammelt wurden (siehe Scope nach Reents vom 9.10.2018).

ESG-Paradox: Enormes Potential mit wenigen Angeboten

Dabei beeinflusst das Thema Nachhaltigkeit Konsumentscheidungen, steigert die Bereitschaft, höhere Preise zu zahlen, den Willen zu spenden und beeinflusst selbst die Wahl von Arbeitsplätze stark. Und das grundsätzliche Interesse attraktiver Kundengruppen an nachhaltigen Geldanlagen ist hoch: In Deutschland sind über 40% der vermögenden Anleger, die noch keine nachhaltigen Investments tätigen, sehr an solchen Anlagen interessiert (UBS: Return on values, Most sustainable investors expect better performance, bigger impact, 19.9.2018).

Wenn Anleger wüssten, dass nachhaltige Geldanlagen keine Performancenachteile haben, würden sie diese wohl sehr stark aktiv nachfragen.

ESG-Paradox: Warum gibt es so wenige konsequent verantwortungsvolle Geldanlageprodukte?

Das geringe Angebot konsequenter ESG-Portfolios liegt meines Erachtens vor allem daran, dass etablierte Finanzdienstleister das verkaufen wollen, was sie schon immer verkauft haben. So müssen keine Produkte verändert werden, kein Vertrieb neu geschult werden und keine potentiellen Käufer mühsam informiert werden.

Neue Produkte werden nur angeboten, wenn sie Outperformance ermöglichen können. Da ESG Daten noch nicht sehr lange systematisch erhoben werden, sind quantitative „Beweise“ dafür jedoch nicht so einfach (zur Kritik an einem solchen Vorgehen siehe hier). Das geht mit anderen Faktoren viel besser. Daher gibt es viele neue Faktor- oder Smart-Beta Angebote (siehe auch hier).

Das ist aber dumm. Es ist inzwischen allseits bekannt, dass aktive Manager passive Benchmark kaum schlagen können. Ausserdem ist ziemlich unstrittig, dass verantwortungsvolle Portfolios bzw. Indizes nicht schlechter sind als traditionelle (siehe auch Passive Outperformance von Indizes). Aus Anlegersicht spricht also alles dafür, (passive) verantwortungsvolle Portfolios zu kaufen.

Das wird sich auch irgendwann rumsprechen. Müssen Anbieter traditioneller aktiver Fonds dann zugeben: Das haben wir gewusst, aber wir wollten erst noch mal einfach möglichst viel Geld mit „unaufgeklärten“ Anlegern verdienen? Ohne Änderungen oder mit Greenwashing kann man als Anbieter ohne großen Aufwand ja sehr gut verdienen.

Und noch unverständlicher ist: Warum bieten nicht mehr der neuen Robo-Advisors konsequent verantwortungsvolle Portfolios an (siehe auch hier)? Wahrscheinlich scheuen auch sie die aufwändige und damit potentiell teure Aufklärung von Anlegern. Schliesslich ist schon der Verkauf traditioneller ETFs erklärungsbedürftig, da die meisten traditionellen Banken diese entweder gar nicht oder allenfalls auf Nachfrage anbieten (siehe z.B. hier).

Fehlende Regulierung als faule Ausrede?

Fondsanbieter beschweren sich fast nie über fehlende Regulierung. Im Gegenteil: Normalerweise wollen sie zusätzliche Regulierung verhindern. Bei verantwortungsvollen Anlagen ist das anders. Fondsanbieter bemängeln eine fehlende verläßliche Taxonomie (zu einem aktuellen Vorschlag siehe hier) und beschweren sich über die Uneinheitlichkeit von ESG-Ratings. Sie scheinen erst mal abwarten zu wollen, wann welche Regulierung kommt, bevor sie aktiv werden.

Mangelnde Standardisierung als Ausrede?

Es gibt heute mehr als 150 Anbieter von verantwortungsvollen Daten, Ratings, Rankings und Indizes (siehe Douglas, Elyse; van Holt, Tracy; Whelan, Tensie: Responsible Investing: Guide to ESG data providers and relevant trends, Journal of Environmental investing No. 1, 2017. S. 3).

Alle arbeiten mit etwas anderen Kriterien. Am ehesten kann man diese Anbieter wohl in wertbasierte und quantitative Anbieter gruppieren, wobei die zweite Gruppe offenbar an Bedeutung zunimmt (siehe Eccles, Robert G; Stroehle, Judith C.: Exploring Social Origins in the Construction of ESG Measures Working Paper, Saïd Business School, University of Oxford, 12.7.2018).

Viele Studien zu ESG-Performance haben ergeben, dass ESG – unabhängig von der Beurteilungsmethode – tendenziell positiv für Anleger ist. Überhaupt verantwortungsvolle Portfolios anzubieten ist daher viel wichtiger als darauf zu warten, dass sich ein anerkannter Standard herausbildet.

ESG-Paradox: Anleger sollten mehr konsequent verantwortungsvolle Angebote einfordern

Sicher wäre es schön, Klarheit bei der Taxonomie und über ESG-Ratings zu haben. Aber darauf sollte man angesichts dieser Ergebnisse nicht warten, sondern Anleger sollten fordern, dass ihnen konsequente verantwortungsvolle Produktangebote gemacht werden.

Anhang: Weitere interessante aktuelle „verantwortungsvolle“ Publikationen

Renshaw, Anthony A., ESG’s evolving performance: First, do no harm, Axioma publication, July 2018

und hier.