ESG-Ratings sind systematische Environmental, Social und Governance Beurteilungen von Wertpapieren. Im aktuellen Anlegerrundbrief kritisiert Bert Flossbach von Flossbach von Storch solche Ratings. Er kritisiert vor allem drei Punkte: Unklare Definitionen, Intransparenz und Unzulänglichkeit der Ratings für Anlageentscheidungen.
Unklare Definitionen?
Richtig ist, dass es bisher keine anerkannten Definitionen von Nachhaltigkeit oder ESG gibt. Die EU hat extra eine Expertenkommission eingesetzt, um das zu ändern. Es gibt aber bereits Vorschläge für praxistaugliche Klassifikationen (siehe DVFA).
Ich stimme Herrn Flossbach zu, dass „Nachhaltigkeit“ und verwandte Begriffe zu häufig für das Marketing genutzt werden, ohne dass solche Angebote einigermaßen strengen Nachhaltigkeitsanforderungen genügen („Greenwashing“).
Eine verlässliche und praxistauglich, d.h. nachprüfbare Taxonomie ist daher wichtig, um Greenwashing zu verhindern (siehe DVFA).
Hohe Transparenz von ESG-Ratings
Herr Flossbach kritisiert zudem, dass es zwar eine ganze Reihe von sogenannten Nachhaltigkeitsscores oder ESG-Ratings gibt, aber diese intransparent seien. Diese Kritik muss meines Erachtens differenziert werden. Professionelle ESG-Ratinganbieter wie Sustainalytics und Thomson Reuters, mit denen ich bereits gearbeitet habe, legen ihre Ratingkriterien transparent offen. Allerdings kann ich die ESG-Ratings selbst als Kunde solcher Anbieter nicht unbedingt nachrechnen, wenn ich keinen vollständigen Zugriff auf alle Detailbestandteile der Ratings habe. Diese Ratinganbieter haben jedoch sehr viele professionelle Kunden weltweit, die die Ratings hinterfragen und so helfen, die Ratings zu verbessern.
Ich habe noch nicht viele gute wissenschaftliche Studien zum Qualitätsvergleich von ESG-Ratings gesehen (siehe hier). Ich habe den Eindruck, dass professionelle Ratingagenturen in Bezug auf besonders gute Unternehmen und besonders schlechte Unternehmen oft übereinstimmen.
Etwas anders sieht es mit sogenannten internen ESG-Scorings aus. Produktanbieter, die eigene ESG-Ratings vornehmen, sind selten so transparent wie professionelle Verkäufer von ESG-Scores. Ausserdem beurteilen sie meist weniger Unternehmen und nutzen auch weniger ESG Kriterien.
Aber auch hier Bedarf es der Differenzierung: ESG-Produktanbieter mit institutionellen Kunden müssen diesen in der Regel eine sehr gute ESG-Ratingqualität und Transparenz bieten, um ihre Produkte verkaufen zu können. Retailproduktanbieter unterliegen dagegen meist sehr viel geringeren Anforderungen.
ESG-Ratings sind für Anlageentscheidungen geeignet
Herr Flossbach kritisiert auch, dass ESG-Scores für Anlageentscheidungen genutzt werden. Das sehe ich anders.
Dabei unterscheide ich drei Gruppen von Anbietern:
1. Anbieter diskretionärer Portfolios, die nicht voll regelbasiert arbeiten.
2. Anbieter regelbasierter Portfolios, die auch ESG-Kriterien nutzen, z.B. sogenannte quantitative Assetmanager (Quants) oder Multi-Faktor ETF-Anbieter.
3. Anbieter regelbasierter Portfolios, die ganz überwiegend ESG-Kriterien nutzen, wie ESG-ETF-Anbieter und mein Unternehmen Diversifikator (PureESG).
Alle Portfoliomanager treffen Entscheidungen über Aufnahme und Gewichtung von Wertpapieren in Portfolios. Diese erfolgen für Gruppe 1) nicht vollkommen regelbasiert bzw. systematisch.
Gruppen 2) und 3) treffen dagegen systematische Anlegeentscheidungen, oft aufgrund von sogenannten „Scores“.
Ich kenne keine überzeugenden Untersuchungen die zeigen, welche der drei aufgeführten Strategien bzw. Investmentphilosophien eine bessere Performance generiert. Zwar schneiden passive Fonds (Gruppe 2 und 3) meist besser ab als aktive Fonds (Gruppe 1), allerdings liegt das vor allem an den niedrigeren Kosten der oft als Indexfonds oder ETFs angebotenen regelbasierten Strategien.
Andererseits gibt es noch weniger Indikationen, dass voll regelbasierte Portfolios schlechter performen als diskretionäre. Insbesondere nach reinen ESG-Kriterien selektierte ESG-ETFs schneiden typischerweise nicht schlechter ab als vergleichbare traditionelle ETFs (siehe z.B. hier).
Ähnliches lässt sich für PureESG Portfolios von Diversifikator im Vergleich zu traditionellen ETFs zeigen. Dabei scheint es nicht entscheidend zu sein, welcher ESG-Ratinganbieter genutzt wird oder wie streng die ESG-Kriterien sind.
So verwendet Diversifikator besonders viele Ausschlüsse und schließt Titel unabhängig von ihrer Branche aus, wenn sie nicht gewisse Mindestanforderungen genügen („Best in Universe“ Ansatz) und erzielt trotzdem ganz überwiegend attraktive Performances.
Anderes Fazit: ESG-Ratings sind hilfreich
Es ist wünschenswert, wenn eine klare Taxonomie kommt und sich die Transparenz von ESG Ratings weiter erhöht. Während Flossbach für diskretionäre Portfolioansätze mit umfassenden Selektionskriterien plädiert, spricht meines Erachtens alles dafür, konsequent nachhaltig anzulegen, und zwar vorzugsweise in günstige Produkte, selbst wenn sie einen strengen puren ESG Ansatz verfolgen, also nur ESG-Scores für die Wertpapierselektion nutzen (siehe auch hier).