Aktiv-traditionell-offline ändert sich in passiv-ESG-online Kapitalanlagen

Anlageberatung wird sich künftig erheblich ändern müssen: Die ersten Auswirkungen von MiFID II werden deutlich. Unter anderem werden die Mindestanlagesummen für individuelle Beratungen und Vermögensverwaltungen angehoben. Für kleinere Anlagebeträge gibt es vermehrt standardisierte Online-Angebote (Robo Advisors). Diese arbeiten überwiegend mit relativ günstigen „passiven“ ETFs.

Experten reden ausserdem schon über eine Aktualisierung von MiFID II mit Fokus auf verantwortungsvolle Kapitalanlagen (siehe hier). Bisher werden erst wenige verantwortungsvolle (ESG Environment, Social, Governance) Kapitalanlagen angebotenen (siehe VfU). Die „grüne Welle“ aus dem Lebensmittel- und sonstigen Einzelhandel ist noch nicht auf die Geldanlage übergeschwappt.

Vielleicht kommt aber bald der erste traditionelle Anbieter mit einem überzeugenden günstigen (passiven) ESG-Online Angebot an den Markt. Die Voraussetzungen dafür sind da.

Man kann den Prozess der Geldanlageberatung in einzelne Schritte aufteilen. Die einzelnen Schritte lassen sich unterschiedlich gut standardisieren bzw. digitalisieren. Was mit überschaubarem Aufwand digitalisierbar ist, wird künftig auch digitalisiert werden.

Anbei folgen einige Thesen anhand der unterschiedlichen Schritte:

Finanzplanung kann ziemlich komplex werden

Schon die umfassende Erfassung von aktuellen und künftig erwarteten Vermögenswerten und Verpflichtungen bereitet vielen Anlegern Schwierigkeiten. Viele Anleger wollen diese Daten aber auch gar nicht gegenüber Dritten offenlegen, zumal eine umfassende Transparenz auch sensible Themen wie Gesundheitsvorsorge, Familienplanung und Erbschaftspläne umfassen sollte. Vertrauenspersonen dürften dabei aber mehr Chancen für eine Offenlegung haben als „Online-Berater“. Vielleicht haben Online-Finanzplaner von Hausbanken aber eine Chance, die Daten zu erhalten.

„Einfache“ Anleger mit wenig Vermögen, wenigen aber dafür sehr konkreten Anlagezielen und wenigen Verpflichtungen sind relativ einfach zu planen. Goals-Based Planung kann aber auch zu schlechten Assen Allokationen führen (siehe hier).

Fazit: Für eher unattraktive Kleinanleger meist einfach. Online Unterstützung ist hilfreich aber eine umfassende Finanzplanung ist für viele Anleger schlecht komplett automatisierbar.

Steuerplanung

Während diese bei Kleinanlegern aufgrund des deutschen Steuerrechts schon nicht einfach ist, wird die Steuerberatung bei umfassenden und komplexen Vermögen und Verpflichtungen schnell sehr schwierig.

Fazit: Online-Unterstützung ist hilfreich aber schlecht vollständig automatisierbar.

Verteilung der Geldanlage auf verschiedene Anlagekassen (Asset Allokation)

Grundsätzlich könnte die Asset Allokation relativ einfach sein. Die klassische Theorie besagt, dass Anleger – je nach Risikoneigung – eine Renditekomponente mit einer risikolosen Geldanlage mischen sollten. Allerdings ist unklar, wie genau eine Renditekomponente und wie eine risikolose Anlage beschaffen sein sollen und auch, wie man das Risiko von Anlegern korrekt misst. Meine Firma Diversifikator hat dafür eine einfach automatisierbare Lösung entwickelt, die ein most-passive Weltmarktportfolio, Cash und die Verlusttoleranz von Anlegern nutzt (siehe www.diversifikator.com).

Fast alle anderen Anbieter am Markt messen die Verlusttoleranz von Anlegern aber mit Schwankungsmaßen (Volatilität), nutzen Prognosen unterschiedlichster Marktsegmente zur Bestimmung angeblich optimaler Renditeportfolios und mischen Anleihen als angeblich risikolose Komponente hinzu. Dieses Vorgehen kann man zwar auch automatisieren, allerdings ergeben sich abhängig von Dateninputs und Modellen sehr unterschiedliche „pseudo-optimale“ Assetallokationen für Anleger, die für Anleger und Berater kaum nachvollziehbar sind.

Fazit: Grundsätzlich einfach zu automatisieren aber offenbar schwer, gut (robust) zu automatisieren.

Managerselektion

Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass die Geldanlagen auch aktiv gemanagt werden müssen. Dafür müssen die besten Manager gefunden werden. Auch das kann automatisiert werden. Meist werden statt Managern aber Investmentfonds selektiert, womit illiquide Anlagen ausgeklammert werden. Als Selektionskriterium wird oft vor allem nach guter vergangener Rendite gesucht. Gute Manager der Vergangenheit sind aber nur selten auch in der Zukunft überdurchschnittlich gut.

Fazit: Grundsätzlich einfach zu automatisieren aber offenbar schwer, gut zu automatisieren.

Alternativ: ETF-Selektion

Für liquide Anlageklassen stehen inzwischen viele kostengünstige regelgebundene (passive) Anlagestrategien in Form von ETFs (Exchange Traded Fonds) zur Verfügung. Die ETF-Selektion ist recht einfach zu automatisieren. Idealerweise müsste man ETFs nehmen, die die gewünschte Anlageklasse möglichst breit abdecken und die eine möglichst geringe negative Tracking Differenz zum genutzten Index aufweisen. In der Praxis werden ETFs aber vor allem nach niedrigen ausgewiesenen Kosten aber auch Alter und Größe bzw. Liquidität selektiert. Für Langfristanleger sind diese Kriterien aber kaum relevant.

Fazit: Grundsätzlich einfach gut zu automatisieren aber offenbar selten gut automatisiert.

Alternativ: Selektion sonstiger Investments/Wertpapiere

Berater, die keine kapitalgewichteten Indizes mögen, weil in diesen die besten Performer der Vergangenheit bzw. bei Anleihen die größten Schuldner am höchsten gewichtet werden, finden bisher nur wenige kostengünstige Fonds (ETFs) mit anderen Gewichtungen. So wird selbst die einfachste Alternative, nämlich gleichgewichtete ETFs, nur für wenige Marktsegmente angeboten.

Nachhaltige Anlagen haben keine Nachteile gegenüber traditionellen Anlagen (siehe z.B. hier). Spätestens mit der Umsetzung der geplanten EU Regulierung zur Förderung nachhaltiger Geldanlagen werden Angebote nachhaltige Anlagen stärker nachgefragt werden. Bisher gibt es aber nur wenige nachhaltige ETFs. Und nachhaltig orientierte Anleger haben oft Kriterien, die nicht exakt denen von ETF-Abietern entsprechen.

Wenn Berater alternative Gewichtungen oder ESG-Anlagen empfehlen wollen, müssen sie auf Einzeltitel oder aktive Fonds ausweichen. Bisher gibt es nur wenige Einzeltitelbasierte Onlineangebote (Robo-Advisors), aber das Angebot nimmt zu.

Fazit: Alternative Gewichtungen und konsequente ESG Anlagen sind grundsätzlich zwar automatisierbar, aber sie werden bisher noch nicht bzw. sehr selten günstig online angeboten.

Risikomanagement

Langfristanleger brauchen normalerweise kein aktives Risikomanagement für ihre Portfolios. Risikomanagement kostet langfristig typischerweise einenTeil der Rendite. Falls Anleger aber trotzdem ein solches Risikomanagement haben wollen, wird es ihnen bisher oft in Form von relativ teurem „aktiven“ Portfoliomanagement verkauft.

Die Beratung eines Anlegers im Hinblick auf die Auswirkungen unterschiedlicher Risikomanagementsysteme ist sehr aufwändig. Ein regelgebundenes kann im Gegensatz zu einem managerabhängigen Risikomanagement aber meist effizient automatisiert werden.

Fazit: Regelgebundenes Risikomanagement kostet Rendite, kann aber einfach automatisiert werden, sofern nicht unterschiedliche Systeme verglichen werden müssen.

Nachhaltigkeitkeitsberatung

Der Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums der EU sieht vor, dass Anleger künftig befragt werden sollen, ob sie nachhaltige Kapitalanlagen haben wollen. Man kann davon ausgehen, dass viele Anleger sich zu dem Thema beraten lassen wollen. Bisher findet eine solche Beratung nur bei Spezialanbietern statt. Grundsätzlich kann man eine Beratung zu nachhaltigen Kapitalanlagen relativ einfach automatisieren. Allerdings werden Anleger wohl sehr differenzierte Anlagewünsche entwickeln. Diese können heute von kaum einem Anbieter erfüllt werden.

Fazit: Eine (Teil-)Automatisierung ist möglich, wird aber bisher nicht angeboten.

Laufende Beratung

Schon die jetzige (MiFID II) Regulierung verlangt bei jeder Portfolioänderung eine umfassende Beratung von Anlegern, es sei denn, der Anleger hat einen Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen, der dem Verwalter weitgehende Vollmachten gibt.

Künftig werden Anleger von kleineren Anlagesummen daher weniger individuelle Beratung und mehr standardisierte (regelgebundene) Vermögensverwaltungen angeboten werden. Die Vermittlung von Vermögensverwaltungsverträgen ist regulierungsfrei. Man kann daher erwarten, dass einige heutige Berater künftig weniger beraten und dafür mehr Vermögensverwaltungen vermitteln werden.

Das kann, muss aber nicht unbedingt zu höheren Kosten oder zu schlechteren Anlageergebnissen für Anleger führen. Standardisierte Vermögensverwaltungen sind jedenfalls besser zu automatisieren als individuelle Beratungen. Aber persönliche Beratung wird weiter richtig sein, und sei es nur, um automatisierte Angebote zu begleiten. Dabei dürfte vor allem Behavioral Coaching wichtig sein, also die Bewahrung von Anlegern vor typischen Anlegerfehlern.

Fazit: Zurückgehende individuelle Beratung und zunehmende standardisierte Vermögensverwaltung führt zu besseren Automatisierungsmöglichkeiten.

Zusammenfassung

Geld und finanzielle Sicherheit haben eine sehr hohe Bedeutung für Anleger. Bisher wurde Anlegern erklärt, dass Geldanlage sehr komplex ist. Die zunehmende Regulierung erhöht den Beratungsaufwand. Künftig werden sich Mindestanlagesummen, ab denen persönliche Beratung angeboten wird, daher weiter erhöhen.

Anbieter wollen ihre Kosten senken und Anleger wollen möglichst objektiv beraten werden. Beides ist oft nur mit Technikunterstützung möglich. Zusätzlich werden Anleger aber auch weiterhin persönliche Beratung verlangen, auch wenn es nur einzelne Elemente des Geldanlageprozesses betrifft, insbesondere die schwer zu automatisierbaren wie Finanzplanung und Steuerberatung und Behavioral Coaching.

Anleger, die nur relativ geringe Beträge anlegen wollen, werden ohne massive Technikunterstützung gar nicht mehr beraten werden können und sich vor allem auf Selbstberatung bzw. kostenlose bzw. kostengünstige (Online)Quellen verlassen müssen.

Insgesamt wird das zu mehr regelgebunden Investments führen. Es gibt einige sogenannte Robo-Advisors, die mehrere der o.g. Funktionen anbieten und das auch günstig tun. Bisher haben sie aber nur wenige Kunden. Voll-automatisierte Stand-alone Robo-Advisors werden es auch künftig schwer haben. Das gilt aber mittelfristig auch für Stand-alone Offline-Anbieter (siehe z.B. hier).

Bisher wurden Anlegern von Geldanlageanbietern fast ausschliesslich aktive (=teure) Anlagelösungen angeboten. Traditionelle Anbieter haben zudem kaum nachhaltige (ESG) Anlagelösungen oder -Beratungskompetenz. Traditionelle Anbieter können (und wollen) ihr Kerngeschäft aber kaum schnell von aktiv-traditionell-online auf passiv-ESG-online umstellen.

Aber es gibt einen Ausweg: Zusätzlich zu ihren aktiv-offline-traditionellen Angeboten können sie online passive ESG Lösungen anbieten. Wenn sie dazu auch Aufklärung/Beratung liefern, müssen das keine Discountangebote sein.

Ich bin gespannt, wann der erste Anbieter eine solche konsequente Lösung offerieren wird. Bisher ist mir kein solches Angebot bekannt.