Anleger und Berater kritisieren zurecht, dass eine praxistaugliche Taxonomie bzw. Klassifizierung für verantwortliche Geldanlagen fehlt bzw. dass die Konzepte verantwortungsvolle, nachhaltige, Impact, ESG (Environmental, Social, Governance), SRI (Socially responsible investment) Investments etc. nicht eindeutig definiert werden (zur Bedeutung s. hier und hier). Daher ist es bisher schwer, unterschiedliche Angebote miteinander zu vergleichen. Hier ist ein Vorschlag, der soeben von der Deutschen Vereinigung für Finanzanlage und Asset Management e.V. vorgelegt wurde und dessen Co-Autor ich bin. Darin sind die Kernbegriffe definiert und Operationalisierungen ermöglicht. Das Dokument der DVFA, das auch in Englisch erhältlich ist, beinhaltet zusätzlich ausführliche Begründungen für das gewählte Vorgehen.
Teil 1: Begriffsklärungen/Taxonomie
Verantwortungsvolle Investments
„Verantwortungsvolle Investments“ („Responsible Investments“ in Englisch) ist der von uns genutzte Oberbegriff. Verantwortungsvolle Investments umfassen alle drei Dimensionen Ökologie, Soziales und Unternehmensführung/Governance.
Nachhaltige Investments
Es gibt verschiede Ausprägungen verantwortungsvoller Investments. „Nachhaltige“ („Sustainable“ in Englisch) Investments umfassen die Kategorien Umwelt und Soziales. Sie berücksichtigen jedoch üblicherweise keine Unternehmensführungskriterien.
Socially Responsible Investments (SRI)
Der Begriff „Socially Responsible Investments“ (SRI) sollte – anders als bisher – künftig für die soziale Dimension genutzt werden.
ESG Portfolios
ESG-Portfolios nehmen nur Wertpapiere auf, die nach spezifischen E, S und G Ratings nicht zu den schlechtesten gehören.
Ausschlussportfolios
Ausschlußportfolios schliessen spezifische Investment explizit aus, wie z.B. Streubomben.
Ethische Portfolios
Ethische Portfolios umfassen Bestandteile, die nach ethischen (oft religionsabhängigen) Kriterien selektiert werden.
Themenportfolios
Themenportfolios beeinhalten Wertpapiere, die „verantwortungsvollen“ Themen wie „erneuerbare Energien“ zugeordnet werden können.
Impactinvestments
Impactinvestments versuchen aktiv Änderungen zu bewirken. Sie beziehen sich oft nur auf eine der Kategorien E, S oder G. Philanthropische Aktivitäten haben typischerweise ausschließlich nicht-finanzielle Ziele und werden daher nicht als „Investments“ angesehen und hier nicht thematisiert. Impactinvestmentangebote haben oft geringe Renditeanforderungen als andere der hier genannten Investmentkategorien weil sie partiell philanthropische Ziele verfolgen.
Begriffskombinationen
Begriffe können kombiniert werden. Z.B. sind „Impact ESG“ Portfolios solche, die beiden Anforderungen genügen und „ESG Ausschlußportfolios“ nutzen „positiv“ ESG Selektionskriterien und „negativ“ zusätzlich Ausschlüsse.
Teil 2: Operationalisierung der Taxonomie
Ausschlüsse
Ausschlußportfolios (Exclusion-Portfolios): Es sollten alle Ausschlusssegmente präzise aufgeführt werden, auch die Anzahl der Ausschlußsegmente. Es sollte idealerweise genannt werden, wie viel Prozent von einem zulässigen Vergleichsindex (z.B. Weltaktien bei einem globalen Aktienportfolio) zum Prüfungszeitpunkt ausgeschlossen werden. Es gibt keine Mindestanforderungen an die Zahl der Ausschlüsse.
Ausschluss von Assets aus einem Portfolio bedeutet grundsätzlich, dass keine Mindestgrenzen zulässig sind („0% Regel“). Das heißt, dass es künftig nicht zulässig sein wird, mit dem Label „Ausschluss“ zu werben, wenn z.B. 5% vom Umsatz mit „ausgeschlossenen“ Bereichen erzielt werden dürfen. Neben Umsätzen können – falls besser passend bzw. verfügbar – auch Unternehmensergebnisse oder andere Maßgrößen herangezogen werden, die aber transparent gemacht werden müssen. Dabei müssen nur vom Emittenten „berichtete“ bzw. aus anderen Quellen mit vertretbarem Aufwand beschaffbare Informationen berücksichtigt werden.
Außerdem können Handels- und Dienstleister anders als Produktionsunternehmen behandelt werden. So haben breit aufgestellte Einzelhandelsunternehmen typischerweise alkoholische Produkte im Angebot. Sie sollen deshalb aber nicht unbedingt aus einem breit gestreuten Portfolio ausgeschlossen werden, selbst wenn dieses Alkoholproduzenten explizit ausschliesst. Solange marktführende Datenanbieter die entsprechenden Daten (noch) nicht zu vertretbaren Kosten liefern können, sind weiterhin Mindestgrenzen zulässig. Dabei darf maximal 5% des Umsatzes bzw. der relevanten Maßgröße eines Emittenten im ausgeschlossenen Bereich erfolgen. Auf diese Ausnahmen von der 0%-Regel muss hingewiesen werden.
Ethische (christliche, islamische etc.) Portfolios fallen typischerweise unter Ausschlussansätze.
Es kann auch aufgeführt werden, wie viele Segmente ausgeschlossen werden. Anbei die Liste der typischen Ausschlüsse :
• Waffen (Produktion und Handel)
• Menschenrechtsverletzungen
• Arbeitsrechtsverletzungen
• Glücksspiel
• Korruption und Bestechung
• Tabak
• Pornografie
• Alkohol
• Kernenergie
• Umweltzerstörung
Weitere anerkannte Ausschlusssegmente:
• Fossile Energien
• Todesstrafe
• Pharmazie
• Rindfleisch/Kuhmilchproduktion
Impact und Themen-Portfolios
Impact-Portfolios: Es muss angegeben werden, welche und wie viele UN Global Compact Sustainable Development Goals (SDG) mit dem Portfolio realistisch angestrebt werden. Alle Wertpapiere in einem Impact-Portfolio müssen mindestens einem Ziel der SDG dienen.
Themenportfolios wie „Erneuerbare Energien“ bzw. „Green Bonds“ müssen 100% – mit Ausnahme von Cash – in Wertpapiere bzw. Projekte der jeweiligen Themen anlegen.
ESG Portfolios
Portfolios, die nicht mindestens die schlechtesten 10% nach E, S und G (separat) ausschließen (Best-in Universe Betrachtung bezogen auf alle Daten des jeweiligen Datenanbieters), dürfen nicht als ESG Portfolios bezeichnet werden.
Begründung: ESG-Ratings können unterschiedlich ausgestaltet werden. ESG-Scoring erfolgt aber selten für ein komplettes Universum von Wertpapieren, sondern oft vorwiegend für tendenziell höher kapitalisierte Unternehmen. Höher kapitalisierte Unternehmen haben mehr Ressourcen aber auch mehr Anreize, sich nach ESG-Kriterien gut zu positionieren. Es ist zudem zu erwarten, dass die schlechtesten Wertpapiere nach ESG-Kriterien bei den unterschiedlichen Ratinganbietern sich weniger unterscheiden werden, als Wertpapiere, die von Ratingagenturen das Urteil „durchschnittlich“ erhalten. Beide Argumente sprechen dafür, nur zu verlangen, dass die schlechtesten Wertpapiere systematisch ausgeschlossen werden müssen.
In einem breit gestreuten Portfolio (z.B. Weltaktien), können ohne nennenswerte Diversifikationsverluste auch strengere Mindestanforderungen, z.B. Ausschluß der schlechtesten 25%, angestrebt werden. Bei kleineren Anlageuniversen, z.B. deutschen Mid-Cap Aktien, würde der Ausschluß der schlechtesten 25% des Ratinganbieters jedoch möglicherweise zu sehr kleinen zulässigen Anlageuniversen führen.
Es können zusätzlich die Mindestanforderungen an E, S und G angeben werden, die für E, S und G jeweils unterschiedlich ausfallen können, z.B. mit „Top 90%“ (Minimum) bis z.B. „Top 50%“. Top 90% bedeutet dabei, dass nur die schlechtesten 10% nach E, S und G Scores ausgeschlossen werden.
Wenn nur E oder S oder G Scores verwendet werden, können die Portfolios entsprechend aufgesetzt werden, z.B. Top 25% E-Score heisst, dass nur die besten 25% nach E-Score ins Portfolio kommen, unabhängig von S und G Scores.
Grundsätzlich sollten zusätzlich auch die durchschnittlichen Scores der jeweils angebotenen Portfolios getrennt nach E, S und G-Score genannt werden.
SRI-Portfolios
SRI (Socially Responsible Investment) sollte nur als Bezeichnung genutzt werden dürfen, wenn das Portfolio ganz überwiegend auf die „S“ Dimension von ESG Ratings ausgerichtet ist und kein Titel im Portfolio enthalten ist, der von Ratingagenturen zu den schlechtesten 10% aller Titeln beurteilt wird.
Kontroversen
„Kontroversen“ können zusätzlich genutzt werden, sollten sich aber normalerweise auch in den E, S und G Scores widerspiegeln. Die genutzte Informationsquelle für Kontroversen sollte genannt werden.
„Best-In-Class/Universe“ Portfolios
Bei Best-in-Universe Ansätzen kann angegeben werden, wo die Mindestgrenze liegt, z.B. E, S und G Score Top 75%.
Analoge Voraussetzungen gelten auch für CO2 Scores, Tender-Anteile etc. für Portfolios, die auf solche Kriterien Bezug nehmen.
Best-In-Class Portfolios müssen ebenfalls die 10% schlechtesten Positionen des Gesamtuniversums nach E, E und G ausschließen, um als verantwortungsvoll bezeichnet werden zu dürfen. Sie können jedoch unterschiedliche Mindestscores (oberhalb der 10% schlechtesten Positionen) für unterschiedliche Anlagesegmente/Classes setzen.
Momentum-, Progress-, Voting- bzw. Engagement-Portfolios
ESG-Momentum- bzw. ESG-Progress-Portfolios müssen ebenfalls mindestens die 10% schlechtesten nach E, S und G ausschließen, ebenso wie „ESG-Voting- bzw. aktive Anteilseigner-Ansätze“, die auf aktive Verbesserungen durch Stimmrechtsausübung setzen.
Systematische ESG-Portfolios und Portfolios, die ESG-Kriterien etc. berücksichtigen
Portfolios die Positionen enthalten, die kein ESG-Rating haben oder die zu den schlechtesten 10% bei E, S oder G gehören, dürfen nicht als ESG Portfolios bezeichnet werden. Diese Definition kann bedeuten, das viele heute unter dem Stichwort „ESG-Integration“, „Best-In-Class“ oder „Momentum“ angebotenen Portfolios ohne Anpassungen an die o.g. Regeln nicht mehr als ESG-Portfolios bezeichnet werden dürfen.
Anderseits ist es weiterhin zulässig damit zu werben, dass ESG-Kriterien für die Wertpapierselektion und/oder -Gewichtung verwendet werden, selbst wenn nicht alle o.g. Regeln eingehalten werden und das Portfolios insgesamt nicht als ESG, SRI, nachhaltig etc. bezeichnet werden darf.
Datenanbieter und Ratings
„Zulässige Datenanbieter“ müssen mindestens je 10 ESG Kriterien pro Kategorie E, S und G und damit mindestens 30 insgesamt pro Wertpapier berücksichtigen und mindestens die Top 25% Wertpapiere nach Markkapitalisierung des jeweiligen Universums (z.B. Aktien Welt, Deutschland etc.).
Interne Ratings die den gleichen Kriterien genügen sind zulässig, gerade auch weil nur so grundsätzlich alle Marktsegmente wie z.B. Small-Cap Portfolios als ESG-Portfolios umsetzbar sind.
Alle Kriterien müssen mindesten ein Mal pro Jahr systematisch überprüft werden.
Zusammenfassende Taxonomie an einem Beispiel
Portfolioangebote kann man anhand der o.g. Kriterien wie folgt klassifizieren (Beispiel Diversifikator Deutsche Aktien ESG Portfolio):
1) Underlyings: Börsennotierte Aktien
2) Anlagefokus: Deutsche Mid und Large Caps
3) Ausschlußkategorien aus DVFA-Liste: 10 (die Ausschlußkategorien und der Ausschlussanteil an einem Weltaktienindex können genannt werden)
4) ESG-Minimum: Ausschluß der schlechtesten 25% aller Titel nach E, S und G
5) Progressansatz: Nein
6) Datenanbieter: Thomson Reuters und eigene Analysen
7) E, S, G Ratings: Thomson Reuters
8) Überprüfung/Aktualisierung der Ausschlüsse und ESG-Kriterien: Jährlich
9) Nicht-ESG Kriterien: Größe und Liquidität von Positionen