Welche Entscheidungen sind nötig, bevor ein faktorbasiertes Portfolio erstellt ist? Was ich unter faktorbasiertem Investment verstehe und wieso diese populärer werden, habe ich schon geschrieben (Beitrag „Faktorallokation …“ vom 3.2.2015). Inzwischen soll es in den USA schon über 350 Smart Beta bzw. Faktor ETFs geben und sogar schon ca. 20% der ETF-Netto-Zuflüsse in solche Produkte fliessen. Aber ich habe den Eindruck, dass faktorbasierte Investments manchmal nicht zu Ende gedacht sind. Auf einer gut besuchten Veranstaltung zweier sehr großer Smart Beta ETF bzw. Indexanbieter konnten meine Fragen an die Experten jedenfalls nicht zu meiner Zufriedenheit beantwortet werden.
Hier sind einige Fragen für faktorbasierte Investments:
1) Welche Faktoren sollen ins Portfolio: Die drei ursprünglichen Fama French Faktoren, zusätzlich Momentum (s. Carhart), die vier Faktoren von Hou/Xue/Zhang oder die fünf Faktoren des relativ neuen Modells von Fama French oder die sechs Faktoren, die der Staatsfonds von Singapur nutzt oder ….?
2) Wie sollen sie ins Portfolio aufgenommen werden: Long, Long/Short, mit/ohne Leverage?
3) Wie sollen sie angewendet werden: Individuell oder kombiniert, parallel oder sequentiell, wie sind die Gewichtungs- und Rebalanzierungsregeln?
Nehmen wir mal an, dass nur Faktoren im Portfolio berücksichtigt werden sollen, die wissenschaftlich bestätigt sind und vergessen wir, dass es zumindest nach Popper keine wissenschaftlichen Bestätigungen geben kann. Dann tauchen bei aktuellen Recherchen folgende Faktoren auf: Value, Small Cap (inzwischen besonders oft skeptisch betrachtet), Qualität, Investment, Profitabilität, Momentum und Volatilität. Das sind alles Aktienfaktoren. Faktoren, die andere Assetklassen betreffen, sind bisher relativ wenig untersucht worden, sie sind aber wichtig für Multi Asset Portfolios.
Untersuchungen zeigen, dass diese Faktoren offenbar in einigen Regionen „funktionieren“, allerdings auch nicht immer, und in anderen Regionen sogar nur selten. Getestet wird meist die sogenannte akademische Long/Short Variante, also die besten Aktien eines Value-Faktors z.B. werden „long“ gekauft und die schlechtesten leerverkauft. Das ist für viele Investoren aus aufsichtsrechtlichen oder internen oder umsetzungstechnischen Gründen – z.B. für wenig liquide Aktien – nicht in ausreichendem Umfang möglich bzw. sinnvoll. Reine Long-Portfolios der „guten“ Faktoren bringen aber meist wesentlich geringere positive Effekte für einman Portfolio als die Long/Short Varianten.
Mögliche Alternative zu auf Einzelaktien basierenden Portfolios: Long-only (sogenannte Smart Beta) Faktor ETFs. Wenn man gute Weltaktienvalue-ETF oder Weltaktien-Small-Cap ETFs etc. kaufen könnte, dann würde man hunderte der – nach Definition des Anbieters – besten Value, Small-Cap, Low-Volatility etc. Aktien ins Portfolio nehmen. Andernfalls muss man Regionen-, Sektoren- oder länderspezifische Faktor-ETFs kaufen und diese für ein Portfolio kombinieren. Ob das gute Portfolios ergeben würde, ist nicht klar: Welche Länderallokation resultiert daraus, welche Währungsabhängigkeiten und welche Sektorenabhängigkeiten etc.? So gibt es Untersuchungen die zeigen, dass manche Faktorportfolios zu hohen Branchenabhängigkeiten führen können.
Wozu ich noch kein Research gesehen habe ist die Frage, welche Rolle die Anwendungsreihenfolge der Faktoren führt. Ich gehe davon aus, daß man kaum alle guten Value, alle Small Cap und alle Low-Vola-Aktien weltweit im Portfolio haben möchte oder kann. Auswahlentscheidungen sind daher nötig. Wenn man 100 Aktien im Portfolio haben möchte, muss man also zunächst die Allokation zu den Faktoren bestimmen. Danach kann dann bei z.B. 4 relevanten Faktoren die jeweils 25 besten Aktien kaufen. Man könnte aber auch die 100 besten Aktien kaufen, die nach allen 4 Kriterien bewertet werden und dann die besten 4-Faktoren Scores haben. Auch andere Regeln sind möglich, z.B. sequentielle Filter wie Auswahl der tausend besten Value Aktien und daraus dann die mit der geringsten Kapitalisierung und so fort. Die so generierten Portfolios werden sich wahrscheinlich erheblich unterscheiden.
Und wie werden die selektierten Aktien dann gewichtet? Wann wird rebalanziert? Diese Fragen sollten nicht unterschätzt werden. Es gibt Analysten die meinen, dass ein erheblicher Teil von angeblicher Faktor-Outperformance gegenüber kapitalgewichteten Indizes durch Rebalanzierungen erklärt werden kann. Wenn man bedenkt, dass (zumindest nach den meisten mir bekannten Untersuchungen) Kapitalgewichtungen fast allen anderen Gewichtungsregeln unterlegen sind, sollte man potentielle Outperformance von Faktorinvestments zunächst mal mit unterschiedlichen nicht kapitalgewichteten Benchmarks vergleichen. Nur wenn dann noch eine dauerhafte Outperformance übrig bleibt, können Faktorinvestments sinnvoll sein.
Also Achtung bei Faktorinvestments! Was sich zunächst sehr überzeugen anhört und oft als wissenschaftlich basiert verkauft wird, ist immer von zahlreichen Entscheidungen abhängig. Das gilt besonders für Multi Faktor und Multi Asset Portfolios. Diese Entscheidungen und auch die Gründe für diese Entscheidungen sollten transparent gemacht werden. Das kann relativ schnell komplex werden. Multi Faktor ETFs sehe ich daher ähnlich wie Multi Asset ETFs als eher geringe Bedrohung für sogenannte aktive Manager an.
Viel wichtiger erscheint mir die Analyse von Faktorabhängigkeiten klassischer Portfolios, wie sie, inklusive Analyse nicht-linearer Zusammenhänge, schon viele Jahre zur Beurteilung von Hedgefonds verwendet werden.
Quellen u.a. Cocoma/Czasonis/Kritzman/Turkington: „Facts about Factors“, Arbeitspapier (2015)
Hallo,
sehr schöner Beitrag über Sinn und Unsinn und vor allem die Komplexität der Entscheidungsbäume.
Was mir in den meisten bisher gelesenen Beiträgen fehlt und auch hier: Wie sollte denn dann ein faktor basiertes Welt Portfolio aussehen? Angenommen ich nehme long-faktor ETF und möchte die Faktoren value, size und momentum mitnehmen.
– Soll ich jetzt 3 MSCI World kaufen? Einen pro Faktor?
– Soll ich versuchen einen World multifaktor zu kaufen. Falls es solch einen gibt?
– Warum gibt es keine BIP gewichteten oder gleichgewichteten World ETF. So wäre ein riesen Problem erschlagen?
– Wenn ich BIP gewichte: Soll ich jetzt pro Region einen multifaktor kaufen etc.??
Was ich damit sagen möchte ist, dass viele Artikel sich auf den Stand der Forschung stützen jedoch nie den Schritt in die reale Welt schaffen und somit für einen Privatanleger keinen werthaltigen Anhaltspunkt liefern.
Freue mich auf Ihr feedback!
Sehr geehrter Herr Marquardt,
ich bin kein Anhänger von faktorbasierten Investments, da ich nicht verlässlich prognostizieren kann, ob bzw. welche Faktoren künftig Outperformance bringen werden. Die Messung von Faktorabhängigkeiten ist jedoch wichtig, denn man sollte keine unbewussten Faktorrisiken eingehen. Abweichungen von der Kapitalgewichtung halte ich für attraktiv, die Rebalanzierungskosten können jedoch sehr hoch sein. Von BIP Gewichtung halte ich nicht so viel, da es dafür keine guten Argumente gibt (BIP und Aktienmarktperformance hängen wohl nicht systematisch zusammen). Weiterführende Überlegungen und Umsetzungsmöglichkeiten finden Sie in „Das Diversifikator Buch“ auf http://www.diversifikator.com. Unter „Faktoranalysen“ finden Sie auch die Abhängigkeiten der Portfolios von Diversifikator.