Free Lunch: Illustration mit magischem Viereck der Kapitalanlage

Free Lunch: Diversifikation nein, Nachhaltigkeit ja?

Free Lunch: Es gibt viele Geldanlagemythen. Zu den hartnäckigsten gehört die Annahme, dass Streuung über unterschiedliche Geldanlagen bzw. Diversifikation viel bringt und nichts kostet. Das wird oft als „Free Lunch“ bezeichnet.

Aber gute Geldanlagen müssen nicht nur Rendite-, Volatilitäts- und Korrelationserwartungen sondern realistische Renditen und Verlustrisiken aber auch Liquidität und Nachhaltigkeit berücksichtigen.

Woher kommt die Free Lunch Annahme?

Angeblich hat der Nobelpreisträger Harry Markowitz erstmals den Satz vom „Free Lunch“ genutzt. Seine Theorie besagt vereinfacht, dass eine Ergänzung eines Portfolios um eine weitere nicht-voll korrelierte (gleichlaufende) Geldanlage die Relation von Rendite zu Risiko (als Sharpe Ratio gemessen) verbessert. Viele Geldanlagespezialisten berufen sich auch heute noch auf diese „Moderne Portfoliotheorie“ von 1952.

Seit einigen Jahren können auch deutsche Privatanleger kostengünstige und stark diversifizierte Exchange Traded Fonds (ETF) kaufen. Viele Anbieter von Geldanlagen werben damit, dass ETFs oder ihre (etwas) anderen bzw. alternative Geldanlagen zur Diversifikation von Portfolios beiträgt. Beide Arten von Anbietern sprechen oft von Free Lunches.

Diversifikation über Anlageklassen: Illiquiditätskosten

Auch viele professionelle Anleger begründen Investitionen ihrer Portfolios in Anlagesegmente wie Immobilien, Private Equity, Private Debt oder Hedge Fonds damit, dass sie zusätzliche Diversifikation anstreben, um ihre Portfoliorisiken breiter zu streuen und damit zu senken.

Ob solche Investments nach allen ihren Kosten die Renditen von Portfolios verbessern, ist strittig (vgl. aktuell z.B. Ennis oder Isil Erel/Thomas Flanagan/Michael Weisbach). Unstrittig ist, dass solche Diversifikationen in wenig korrelierte Geldanlagen die Wertschwankungen (Volatilität) von Portfolios grundsätzlich reduzieren. Das stimmt aber nicht immer und gilt nicht unbedingt auch für Verluste, wie zum Beispiel die Finanzkrise von 2008 zeigte.

Außerdem sind die oben genannten alternativen Investments meistens wenig liquide. Das bedeutet, dass man sie nicht schnell verkaufen kann, wenn man das möchte. Illiquidität ist ein Risiko, welches bei der Portfoliooptimierung von Markowitz und auch vielen Weiterentwicklungen nicht adäquat berücksichtigt wird (Gleiches gilt für Nachhaltigkeit). Dabei ist es offensichtlich, dass eine Diversifikation mit nicht-liquiden Investments Anlegerrisiken erhöht. Damit ist Diversifikation kein „Free Lunch“ mehr.

Illiquiditätsrisiken von Impact Investments

Impact Investments gelten als die nachhaltigsten Investments. Dabei geht es in der anspruchsvollsten Variante darum, dass Geldanleger auf ihre Investments einwirken sollen, um sie (noch) nachhaltiger zu machen. Lange Jahre wurden nur illiquide Investments als Impactinvestments anerkannt. Das liegt daran, dass bei illiquiden bzw. Private Capital Investments den Empfängern neues Kapital zukommt. Das ist bei liquiden bzw. börsennotierten Investments, bei denen anderen Anlegern Wertpapiere abgekauft werden, nicht der Fall. Allerdings ist es oft schwer, diesen Impact bzw. das Impactpotenzial verlässlich zu messen und konkreten Investoren zuzurechnen.

Illiquide impact Investments können mit großen Risiken behaftet sein. Wie alle illiquiden Investments haben sie den Nachteil, dass man sie nicht schnell verkaufen kann, wenn man Fehlentwicklungen erkennt und künftige Risiken reduzieren will. Das kann häufiger vorkommen, als man erwartet (vgl. Impact divestment: Illiquidity hurts (prof-soehnholz.com)). Wenn zudem bekannt wird, dass Anleger auf längere Zeit an nicht (mehr) nachhaltige Investments gebunden sind, kann das zu Reputationsverlusten führen.

Kein Free Lunch: Erhebliche Nachhaltigkeits-Diversifikationskosten innerhalb von Anlagesegmenten

Seitdem es kostengünstige ETFs (Exchange Traded Fonds) gibt, bin ich ein Fan solcher Produkte. Beim Start meines eigenen Unternehmens in 2015 wollte ich eigentlich nur Portfolios aus ETFs anbieten. Diesen Plan habe ich aber schnell geändert. Der Grund war mein Wunsch, möglichst nachhaltige Portfolios anzubieten.

Mein Ende 2015 gestartetes ESG ETF-Portfolios war zwar wohl das erste derartige Portfolio, das öffentlich angeboten wurde. Mit dem Fokus auf relativ strenge Socally Responsible Investment (SRI) ETFs ist es auch ein besonders konsequent nachhaltiges Portfolio. Allerdings war nach der Durchschau auf die in den ETFs enthaltenen Wertpapiere schnell klar, dass auch solche ETFs viele Aktien und Anleihen enthalten, die ich nicht für ausreichend nachhaltig halte. Das liegt vor allem daran, dass die ETFs Wertpapiere aus möglichst allen Branchen enthalten sollen, damit die Abweichungen (Tracking Error) zu vergleichbaren nicht-nachhaltigen Indizes nicht zu groß werden. So findet man in vielen angeblich nachhaltigen ETFs Wertpapiere von fossilen Energieproduzenten und/oder anderen Emittenten mit nicht-nachhaltigen Produkten oder Services.

Positive Diversifikationsbegrenzung und Nachhaltigkeits- Free Lunch

Ich habe mich deshalb 2016 entschlossen, auch direkte Aktienportfolios anzubieten. Diese sollten möglichst nachhaltig sein. Ich habe deshalb mehrere tausend Aktien nach meiner eigenen Nachhaltigkeitsdefinition in eine Reihenfolge gebracht. Eine Kernfrage war dabei, wie viele Aktien nötig sind, um ein relativ risikoarmes Portfolio zu bekommen, das marktübliche Renditen erreichen kann. Wissenschaftliche Studien nennen dazu meistens Zahlen von 5 bis 50 Aktien. Ich habe mich für 30 Aktien entschieden, weil der Grenznutzen zusätzlicher Diversifikation in Bezug auf Rendite bzw. Risiko sehr gering ist.

Es gibt drei wichtige Gründe für die Beschränkung der Diversifikation. Anders als bei ETFs können mehr Aktien in einem direkten Aktienportfolio zu nennenswert höheren (Handels-)Kosten führen können, vor allem wenn es zu häufigen Umschichtungen kommt. Zweitens ist mir Shareholder Engagement wichtig und der Aufwand für ein gutes solches Engagement steigt mit der Zahl der Portfoliobestandteile. Der wichtigste Grund aber ist, dass bei einer Investition auf Basis von Nachhaltigkeitsrankings jede zusätzliche Aktie zu einer Reduktion der durchschnittlichen Portfolionachhaltigkeit führt (vgl. 30 stocks, if responsible, are all I need – Responsible Investment Research Blog (prof-soehnholz.com).

Nach meinem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbeurteilungsansatz (siehe Kapitel 7 hier: Das-Soehnholz-ESG-und-SDG-Portfoliobuch.pdf (soehnholzesg.com)) erreiche ich mit diversifizierten ETF nur maximal die Hälfte der Nachhaltigkeit im Vergleich zu direkten Aktienportfolios. Auch aus Nachhaltigkeitssicht ist Diversifikation also kein Free-Lunch sondern kostet Nachhaltigkeit. Andererseits erreichen meine Portfolios aus nur 30 börsennotierten Aktien ähnliche Renditen bei vergleichbaren Risiken wie traditionelle stark diversifizierte Benchmarks. Anders ausgedrückt: Man kann marktübliche Renditen und Risiken mit hoher Liquidität und Nachhaltigkeit erreichen, wenn man auf unnötige Diversifikation verzichtet.

Neue Kennzahlen: Grenznutzen, Grenzkosten und Alternativportfolios

Die Diversifikationskosten von mehr Illiquidität bzw. mehr Nachhaltigkeit kann man auch konkret berechnen. In Bezug auf Nachhaltigkeit ist das relativ einfach, sofern man eine zufriedenstellende Nachhaltigkeitsmessgröße hat. Wenn durchschnittliches ESG-Rating diese Messgröße ist, kann man feststellen, wie viel eine zusätzliche Diversifikation um eine Aktie oder Anleihe in Bezug auf diese Messgröße kostet. Das sind dann die Nachhaltigkeits-Grenzkosten einer zusätzlichen Diversifikation. Diese sollte man mit dem zusätzlichen Nutzen einer Diversifikation vergleichen, die man mit zusätzlicher Renditeerwartung und/oder zusätzlicher Risikosenkung messen kann, also den Grenznutzen der Diversifikation. Solange der Grenznutzen die Grenzkosten übersteigt, kann Diversifikation ein Free Lunch sein, wenn man von Transaktions- und anderen Zusatzkosten abstrahiert.

Ähnlich kann man bei der Betrachtung der Diversifikation mit illiquiden Investments vorgehen. Dabei ist die Schwierigkeit, dass es keine einfach verfügbare Liquiditätsmesszahlen gibt. Man könnte aber schätzen, wie viele Tage die Umwandlung von Investments in sofort verfügbare Geldanlagen dauert. Bei Aktien sind das zum Beispiel wenige Stunden oder Tage. Bei Privatmarktinvestments kann es dagegen mehrere Jahre dauern, bis 100% der Anlage in Liquidität umgewandelt sind.

Wenn man die Nachhaltigkeitsdimension berücksichtigt, kann das kritisch sein. Bei meinem aus den meiner Ansicht nach jeweils 30 nachhaltigsten Aktien bestehenden Investmentfonds (vgl. My fund (prof-soehnholz.com)) habe ich seit dem Start vor weniger als drei Jahren schon 60 Aktien verkauft (49 bis 11/2023 vgl. Divestments: 49 bei 30 Aktien meines Artikel 9 Fonds (prof-soehnholz.com)). Der Hauptgrund: Die Aktien haben meine im Laufe der Zeit weiter gestiegenen Nachhaltigkeitsanforderungen nicht mehr erfüllt. Wenn ich mein Aktienportfolio in den letzten Jahren nicht regelmäßig angepasst hätte, wären die Nachhaltigkeitskennzahlen wie ESG-Ratings oder SDG-Vereinbarkeit erheblich schlechter als sie es heute sind.

Für Illiquide Investments könnte man eine ähnliche Analyse machen: Wie Nachhaltig könnte man investieren, wenn man die illiquide angelegte Summe aktuell neu investieren würde. Mutmaßliche Rendite- oder Risikovorteile einer Diversifikation mit illiquiden Investments müssten dann um Nachhaltigkeitsnachteile korrigiert werden.

Fazit: Nachhaltigkeits- statt Diversifikations- Free Lunch

Mein Fazit: Diversifikation ist aus Nachhaltigkeitsgründen und vor allem bei Nutzung illiquider Investments keinesfalls ein Free Lunch. Im Gegenteil: Die Grenzkosten von Diversifikation können sehr hoch sein. Ich halte eher nachhaltige Investments für einen Free Lunch. Ich habe für mich jedenfalls entschieden, nur noch liquide und konsequent, d.h. konzentriert nachhaltig zu investieren.