Mifid II: Tuning für etablierte Banken? 20 Thesen

Gut gemeint ist nicht unbedingt auch gut gemacht: Am 13.7. hat die europäische Wertpapieraufsicht (ESMA) das Konsultationspapier für die Richtlinien für die Geeignetheitsprüfung von Kapitalanlagen veröffentlicht (siehe dazu auch Beitrag von RA Christian Waigel vom 20.7. in www.dasinvestment.com „Mifid II: 7 Neuerungen für Berater, Robo-Advisor und Kunden“). Schon vor dieser Veröffentlichung war klar, dass Anlageberatungen künftig aufgezeichnet und gespeichert werden müssen. Aber erst mit dem Konsultationspapier wird deutlich, wie viele und wie detaillierte und umfassende Fragen Anleger beantworten müssen. Hinzu kommt, dass kritische und regelmäßige Überprüfungen der Antworten verpflichtend werden.

Anders als von vielen Beratungsanbietern noch vor einiger Zeit befürchtet, gibt es kein Provisionsverbot. Dafür müssen die Kosten der Geldanlage detailliert und aufwändig offen gelegt werden.

Hier sind meine 20 Hypothesen, was Mifid II für Anleger und Anbieter bedeuten wird und wer zu den Verlierern oder den wenigen Gewinnern gehören könnte:

  1. Mit Sicherheit erhöhen die neuen Pflichten die Kosten für Beratungsanbieter.
  2. Höhere Kosten werden entweder den Interessenten aufgebürdet, oder die verlangten Minimumanlagen ab denen Anlageberatung angeboten wird, werden erhöht.
  3. Höhere Beratungskosten führen zu geringeren Renditen oder, wie in Großbritannien nach dem Provisionsverbot, zu geringeren Kapitalanlagen in Wertpapieren, weniger professioneller Beratung und mehr Selbstberatung.
  4. Etliche kleine Anbieter von Anlageberatung werden die Anlageberatung einstellen und müssen so vielleicht sogar ihr ganzes Geschäft einstellen.
  5. Berater werden versuchen, Kosten zu reduzieren, indem sie so viele der laut Mifid nötigen Angaben wie möglich durch den Anleger selbst in Online-Formulare eingeben zu lassen und so viele Datenprüfungen wie möglich zu automatisieren.
  6. Anleger, die sich meist sowieso nicht gerne mit Geldanlagen beschäftigen, werden diese Angaben nicht bei mehreren Geldanlageanbietern machen wollen, sondern möglichst nur einmal. Anbieterwechsel werden also tendenziell noch geringer werden, als sie heute schon sind.
  7. Anleger werden ihre Daten in erster Linie Geldanlageanbietern ihres Vertrauens zur Verfügung stellen. Das kann der langjährige persönliche bekannte Berater sein, wenn er denn sein Geschäft weiter betreibt, oder die Bank des Vertrauens. Es wird eher kein neuer unabhängiger Robo-Advisor sein sondern eher Robo-Plattformen, die zu etablierten Anbietern gehören, wie man in den USA an Vanguard und Charles Schwab sieht.
  8. Technisch könnte diese Einmalangabe des Anlegers einfach auch anderen Geldanlageanbietern zur Verfügung gestellt werden. Das werden Anleger aus Datenschutzgründen jedoch nicht ohne Weiteres machen. Vielleicht etabliert sich aber auch ein neuer zentraler Service in diesem Bereich (neues Fintech?).
  9. Anleger werden sich künftig vor Abschlüssen noch stärker online informieren, aber wohl weiter offline Beratung suchen (ROPO – Research online, purchase offline – also andersherum als im Einzelhandel).
  10. Anleger, die sich künftig – wie schon meist bisher auch – an nur einen einzigen Berater wenden, erwarten von diesem Berater daher eine umso bessere Beratung.
  11. Anbieter, die künftig nicht sehr hohe Transparenz und ausführliche Informationen zu den Vor- aber auch Nachteilen der angebotenen Produkte auch online bereithalten, werde es schwer haben, ihre Kunden zu halten.
  12. Anbieter, die künftig keine kostengünstigen Produkte wie z.B. ETFs im Angebot haben, werden es schwer haben, ihre Kunden zu halten bzw. das Geschäft mit diesen auszuweiten.
  13. Auch Anbieter, die Selbstentscheider unterstützen (und mit dieser Unterstützung Geld verdienen wie Robo-Advisors), können von der neuen Regulierung besonders profitieren.
  14. Die Regulierung wird insgesamt zu günstigeren Kapitalanlagen führen, obwohl die Beratungskosten im Einzelfall oft steigen werden, denn der Anteil an (kostengünstiger) Selbstberatung und an kostengünstigen Produkten wird steigen.
  15. So wie die Geeignetheitsfragen aktuell vorgesehen sind, werden Anleger noch risikoärmere Portfolios halten als sie bereits jetzt schon tun. So führt das von Mifid präferierte sogenannte regulierungsunterstützte Goal-Based Investing (siehe Beitrag „Goal-based investing“ dazu) zu niedrigeren Quoten potentiell renditestarker Anlagen wie Aktien. Außerdem stellen die Geeignetheitsfragen sehr stark auf Schwankungen ab und nicht genug auf mittelfristige Verlustrisiken, die auch bei Aktien relativ gering sind (siehe Abschnitt „Risikowahl“ auf www.diversifikator.com). Es ist zu hoffen, dass die vom Anleger abgefragten Risikoeinschätzungsinformationen künftig intelligent analysiert werden, was heute eher selten der Fall zu sein scheint (siehe Michael Tertlit/Peter Scholz: To Advise, or Not to Advise — How Robo-Advisors Evaluate the Risk Preferences of Private Investors, Hamburg 2017). So sollte zum Beispiel klar sein, daß eine 80jährige Anlegerin mit einem hohen Vermögen auch eine hohe Aktienquote vertragen kann.
  16. Mifid II wird nicht zur Zunahme von typischer Honorarberatung führen, bei der Beratungszeit bezahlt werden, da durch höhere Regulierungsvorschriften mehr Beratungsstunden bezahlt werden müssen, was Anleger nicht mögen. Von Produktanbietern bezahlte Provisionen werden dagegen für unkritische Anleger attraktiv bleiben, wenn Vermittler erfolgreich suggerieren können, dass durch ihre Beratung Anbieterprovisionen gespart werden können. Kritische Anleger werden eher günstige Endprodukte haben wollen und werden dafür bereit sein, den Beratern direkt eine laufende Beratungs- oder Verwaltungsprovision zu zahlen, die Anlagevolumensabhängig sein kann. Da Anbieter mit solchen Provisionen sogar mehr verdienen können als mit teilweise rückvergüteten Produktanbieterprovisionen, werden solche Modelle zunehmen.
  17. Offen ist, wie Anbieter, die bisher nur auf aktive Fonds gesetzt haben, ihren Bestandskunden erklären, dass ETFs vielleicht doch gar nicht so schlecht sind. Vielleicht argumentieren sie dann, dass ETFs in letzter Zeit so viel besser geworden sind, dass man sie jetzt beruhigt anbieten kann.
  18. Die Erklärungen, die nötig sind, um ETFs an Anleger zu verkaufen, sind aber gar nicht so einfach. Man kann einen Multi-Asset Fonds eines sogenannten Starfondsmanagers relativ einfach verkaufen, denn die Anleger müssen nur dem Starfondsmanager vertrauen. Einen aktiven Fonds aus ETFs zu verkaufen macht wenig Sinn, wenn man aktive Fonds vermeiden möchte. Aber Anlegern ein Portfolio aus mehreren ETFs zu verkaufen, erfordert gute Allokationsargumente und ist aufwändig, gerade wenn man auf ein zusätzliches Risikomanagement wert legt.  Das wird insgesamt zur stärkeren Verbreitung von standardisierten ETF-Vermögensverwaltungen bzw. Muster- und Modellportfolios führen.
  19. Bisher gibt es keine etablierten Benchmarks für Multi-Asset Fonds. Schon einfache Benchmarks aus 50% Aktien und 50% Anleihen sind schwer zu schlagen. Künftig werden auch investierbare Multi-Asset Benchmarks (siehe z.B. Weltmarktportfolio) populärer werden. Das wird zu einem relativen Rückgang der Anlagen in aktiven Multi-Asset Portfolios führen.
  20. Wenn es trotz all der detaillierten Regulierung eine Regulierungslücke gibt, dann ist das aus meiner Sicht das Thema verantwortungsvolle Kapitalanlagen. Es ist heute relativ einfach, in Bezug auf Fonds bzw. Portfolios festzustellen, wie gut sie in Bezug auf soziale, ökologische und Governance (ESG) Kriterien sind. Aber auch ohne Transparenzpflicht ist zu erwarten, dass Anbieter künftig zunehmend mehr ESG-Transparenz in ihre Angebote bringen werden.

Von der neuen Regulierung werden also wahrscheinlich vor allem die etablierten Banken profitieren, allerdings müssen auch sie ihr Produktangebot, ihre Preispolitik und ihre Transparenz erheblich verbessern.