Hängendes Faultier als Bild für negative Performance zum Titel Konzentration und SDG

Finanzwissen kann schaden

Geldanlagekrise: Begriffsklärung

Im Februar und März 2020 gab es im Zusammenhang mit der Verbreitung von Corona eine Geldanlagekrise. Selbst breit gestreute Depots verloren 15 bis 20 Prozent an Wert. Es wäre naheliegend, wenn Anleger mit mehr Finanzwissen besser durch solche Krisen kommen würden als Anleger mit weniger Finanzwissen.

Eine Indikation dafür ist die Studie Financial Literacy and Savings Account Returns von Florian Deuflhard, Dimitris Georgarakos und Roman Inderst vom Juni 2015. Diese zeigt, dass Finanzbildung zu höheren Renditen führen kann.

Und auch diese sehr akuelle Untersuchung lässt das vermuten: Financial literacy, risk and time preferences – Results from a randomized educational intervention von Matthias Sutter, Michael Weyland, Anna Untertrifaller und Manuel Froitzheim von der Max Planck Gesellschaft vom 10. August 2020. Dort heisst es im Abstract: “we find that teaching financial literacy makes subjects more patient, less present-biased, and slightly more risk-averse”.

Finanzwissen: Die wichtigsten Fragen der Geldanlage(bildung)

Um die These prüfen zu können, ist die Definition von Finanzwissen wichtig: Die wichtigsten Fragen der Geldanlage lauten: Welche Anlagen soll man wählen und wann soll man wieviel Geld anlegen bzw. verkaufen? Geldanlagebildung bzw. Finanzwissen soll sicherstellen, dass diese Entscheidungen möglichst gut getroffen werden können.

Finanzwissen: Der richtige Anlage- bzw. Verkaufszeitpunkt

Wer regelmäßig spart, sollte auch in Krisen weitersparen (vgl. hier). Wenn man eine große Geldanlagesumme hat könnte man versuchen, einen besonders günstigen Erstanlagezeitpunkt abzuwarten. Oder man könnte seine Geldanlagen in Krisen reduzieren. Davon rate ich ab. Selbst Geldanlageprofis können solche Entscheidungen nicht gut treffen und sind typischerweise schlecht beim sogenannten Markt-Timing.

Ein guter Indikator für diese These sind die Renditen von professionell gemangten Investmentfonds. Investmentfonds kann man sehr grob in passive und aktiv gemanagte Fonds einteilen. Passive Fonds folgen Indizes und versuchen nicht den Markt bzw. einzelne Wertpapiere zu timen. Manager aktiver Fonds versuchen unter anderem durch Timing besser als passive Anlagen zu sein. In sehr vielen Untersuchungen wurde aber gezeigt, dass der durchschnittliche aktive Fonds bzw. Manager schlechter ist als ein vergleichbarer passiver Fonds.

Wenn man annimmt, dass Geldanlagemärkte dauerhaft an Wert gewinnen, wie das für die meisten großen Anlageklassen in der Vergangenheit der Fall war, sollte man sein gesamtes dauerhaft verfügbares Geld möglichst zeitnah anlegen. Das gilt unabhängig davon, ob man sich gerade in einer wahrgenommen Krise oder einem Boom befindet (vgl. hier).

Ob die Annahme dauerhaft steigender Kurse auch für die Zukunft gilt, ist natürlich unklar, denn „Finanzprognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“ (anonymer Verfasser; vgl. https://prof-soehnholz.com/investmentphilosophie-prognosefans-sollten-prognosefreie-portfolios-nutzen/).

Allerdings sind Kurssteigerungen wahrscheinlich, wenn man grundsätzlich Wirtschaftswachstum erwartet. Auch die aktuell sehr hohen Volumina kurzfristiger Geldanlagen mit sehr niedrigen Renditeerwartungen sprechen für künftige Umschichtungen und damit Kursteigerungen anderer Geldanlagen. Deshalb sollte man verfügbares Geld unabhängig von Finanzkrisen anlegen.

Finanzwissen: Die richtige Allokation

Auch für die Allokation zu Anlageklassen wie Aktien oder Anleihen kann man passive Varianten wählen und fährt damit typischerweise ganz gut (vgl. https://prof-soehnholz.com/passive-asset-allokationen-sind-besser-als-aktive/). Dabei sollte man aber auf eine gute Streuung bzw. Diversifikation achten.

Anleger, die ihre Geldanlagen nicht breit streuen, haben ein höheres Risiko dauerhafter Verluste. Das gilt zum Beispiel für die Anleger, die stark auf die Aktie von Wirecard gesetzt hatten. Aber auch Anleger, die vor vielen Jahren japanische Immobilien oder Aktien gekauft haben, können immer noch im Verlustbereich sein.

Wenn man besonders zukunftssicher anlegen möchte, sollte man zudem darauf achten, dass man sein Geld verantwortungsvoll anlegt.

Finanzwissen: Einfache Testmöglichkeiten

Meine Thesen kann man für die Vergangenheit relativ einfach selbst testen (vgl. https://prof-soehnholz.com/kann-institutionelles-investment-consulting-digitalisiert-werden-beispiele/). Dazu nehme ich einen Anlagehorizont von etwa sieben Jahren an und nutze die Rückrechnungsmöglichkeiten (Backtests) der kostenlos nutzbaren amerikanischen Webseite „Portfoliovisualizer“.

Wenn man dort das Startjahr 2013 wählt und jeweils 50% in US Aktien und 50% in nicht-US Aktien angelegt hätte, hätte man trotz der Coronakrise von Januar 2014 bis Juli 2020 aus zehntausend Dollar 15.241 Dollar gemacht und wäre in keinem Jahr unter 10.000 Dollar gefallen. Von 2002 bis Ende 2008 hätte man wegen der großen Finanzmarktkrise in 2008 zwar kaum Gewinne gemacht, aber auch nur selten zwischenzeitliche Papierverluste gehabt. Unter Portfoliocharts kann man in sogenannten Heatmaps sehen, dass diese für sehr viele Anlagesegmente, Portfolios und für sehr viele Perioden grün sind, also Gewinn anzeigen.

Leicht vereinfacht ausgedrückt: Wenn Anleger ihr Geld nicht sofort angelegt hätten oder zwischenzeitlich, z.B. in (wahrgenommenen) Krisen, ihre Geldanlagen willkürlich reduziert hätten, hätten sie meist auf Renditen verzichten müssen.

Mein Zwischenfazit: Wenig „Basis- Finanzwissen reicht aus, um Geld erfolgreich anzulegen.

Was sagt Fachliteratur zu Finanzwissen?

Die Frage, welchen Einfluss Finanzwissen bzw. Finanzbildung auf Geldanlageergebnisse hat, ist schwierig zu beantworten. Die oben genannte Studie von Deuflhard et al. zeigt, dass eine gewisse Mindestfinanzbildung zu besseren Renditen führen kann. Die Studie von Sutter et al. untersucht das Verhältnis von Finanzbildung und Rendite nicht direkt. Allerdings kann danach eine (etwas) bessere Finanzbildung zu einer geringeren Risikoneigung führen. Das könnte niedrigere Renditen bedeuten.

Es gibt sogar eine aktuelle wissenschaftliche Studie die zumindest für Japan zeigt, dass zu viel Finanzbildung zu schlechteren Anlagerenditen und sogar zu mehr finanzieller Naivität führen kann (vgl. Is Financial Literacy Dangerous? Financial Literacy, Behavioral Factors, and Financial Choices of Households von Tetsuya Kawamura, Tomoharu Mori, Taizo Motonishi und Kazuhito Ogawa vom 1. Juli 2020).

Auf Basis anderer Untersuchungen kann erwartet werden, dass Geldanlagelaien schlechtere Renditen als Profis erzielen. Als Indikator dafür gilt die sogenannte „Investorenrendite“ im Vergleich zur „Investmentrendite“. Viele Studie zeigen, dass Investmentfonds im Schnitt eine bessere Rendite (zeitgewichtete Investmentrendite als Mittelwert der Renditen von Investmentfonds gemessen) haben, als der durchschnittliche Anleger in Investmentfonds (kapitalgewichtete Investorenrendite als durchschnittliche anlagekapitalgewichtete Rendite von Investmentfonds; vgl. https://www.researchaffiliates.com/en_us/publications/articles/687-the-biggest-failure-in-investment-management-how-smart-beta-can-make-it-better-or-worse.html).

Bei dieser Betrachtung werden aber zwei Aspekte vernachlässigt: Die meisten Anlagevolumina stammen von institutionellen Geldanlegern, die eine sehr gute Finanzbildung haben sollten. Trotzdem ist die kapitalgewichtete Rendite schlecht.

Motivation für neue Fondsauflagen sind zudem überwiegend wahrgenommene Vertriebschancen bzw. Produktdifferenzierungen zur Abgrenzung von anderen Produkten. Die Überzeugungen von Fondsmanagern sind nicht unbedingt der Grund für mehr und komplexere Produkte. Das sieht man zum Beispiel daran, dass Fondsmanager meist nur einen sehr geringen Teil ihrer Vermögen in ihre eigenen Fonds investieren. Mehr Fonds bedeuten deshalb nicht unbedingt mehr Finanzwissen und führen auch nicht unbedingt zu einer besseren Durchschnittsrendite.

Zu viel Finanzwissen hilft nicht unbedingt

Eine bessere Indikation für die These„zuviel Finanzwissen schadet“ ist, dass Investmentprofis ihre passiven Benchmarks auch in Krisen nur selten schlagen können. Manager von sogenannten aktiven Fonds haben in der Finanzmarktkrise 2008 aber auch in der aktuellen Finanzkrise im Schnitt schlechter abgeschnitten als passive Anlagen (vgl. aktuell https://prof-soehnholz.com/esg-halbjahr-relativ-gute-performance-passiver-allokations-und-strenger-esg-portfolios/).

Selbst von Profis für Großanleger ausgewählte Fonds sind tendenziell sogar schlechter, als von die von denselben Profis negativ eingeschätzten Fonds (vgl. Choosing Investment Managers von Amit Goyal, Sunil Wahal und Deniz Yavuz vom 16. Juli 2020).

Da wundert es nicht mehr, dass auch von professionellen Anlagerberatern betreute Geldanlagen weniger rentabel und sogar riskanter sind als von Privatanlegern selbst gemanagte Anlagen. Das liegt vor allem an höheren Handelsaktivitäten von beratenen Depots (vgl. Financial Advisors: A Case of Babysitters? Von Andreas Hackethal, Michael Haliassos und Tullio Jappelli von der Goethe Uni Frankfurt und der Universität von Neapel vom 20. Juni 2020).

Offenbar wollen Anlageberater, ähnlich wie Fondsmanager, Aktivität zeigen, wohl um zu zeigen, dass sie ihr Geld wert sind. Aber Aktivität schmälert eher die Renditen von Anlegern.

Finanzwissen kann sogar kontraproduktiv sein

Die Lehre aus diesen Untersuchungen und Überlegungen ist, dass Anleger möglichst passiv, d.h. ohne sogenannte Outperformance- bzw. „Timingversuche“ anlegen sollten. Das heißt konkret, dass Anleger in Krisen typischerweise weder aktive Kauf- noch Verkaufsentscheidungen treffen sollten. Wenn man in der Krise also Wertpapiere nicht außerordentlich verkaufen oder kaufen soll, ist außer einer Nichtaktionsentscheidung keine andere Finanzentscheidung nötig. Deshalb ist eine detaillierte Finanzbildung meiner Meinung auch nach in der Krise nicht wichtiger als außerhalb der Krise.

Wenn Finanzbildung dieses Basisfinanzwissen vermittelt, hat zusätzliches Finanzwissen möglicherweise kaum zusätzliche positive Renditeauswirkungen. Denn wenn man sehr viel Finanzwissen besitzt, wie man es bei Geldanlageprofis vermuten sollte, kann man den Markt und die einfache Anlageregel „diversifiziert-passiv“ offenbar kaum schlagen. Meiner Meinung nach müsste es also sogar heißen: Wenn man sehr viel Finanzwissen hat, sind schlechtere Renditen zu erwarten als mit Basis-Finanzwissen. Eine Erklärung dafür könnte die Selbstüberschätzung von Geldanlageprofis sein („overconfidence“).

Es kann aber auch ein, dass nicht der Umfang des Finanzwissens entscheidend ist, sondern der Inhalt. Dann müsste die These heißen: Die Finanzausbildung ist schlecht. Deshalb ist zu viel Finanzbildung schädlich für Renditen. Auch das halte ich für möglich (Söhnholz, Dirk: Stimmt es, dass – Ökonomen aus der Krise nichts gelernt haben? in Handelsblatt, 27.5.2014).

Es wäre schlimm wenn Profis wüssten, dass sie Anlegern mit den meisten Ihren Angebote und Ratschläge schaden. Dann würden sie aus Gier gegen besseres Wissen entscheiden.

Fazit: Ein limitiertes Basiswissen kann auch in der Krise besser sein als detailliertes Finanzwissen

Aber Achtung: Ich denke nicht, dass das hier skizzierte Basisfinanzwissen schon ausreichend verbreitet ist. Dagegen spricht, dass es noch so viele schlechte Geldanlagen gibt.

Außerdem plädiere ich nicht für eine grundsätzlich limitierte Finanzbildung. Im Gegenteil. Auf „Verantwortungsvolle (ESG) Geldanlage“ veröffentliche und kommentiere ich regelmäßig aktuelles Research zu Geldanlagen und versuche evidenzbasierte Investments zu fördern (vgl. https://prof-soehnholz.com/finanzanalysten-und-produktanbieter-koennten-probleme-mit-evidence-based-investment-analysis-ebia-haben/).

Man sollte aber nicht erwarten, dass man die Finanzmärkte mit mehr Finanzbildung einfacher schlagen kann.

Hinweis 1: Ich selbst verfolge eine sehr einfache Investmentphilosophie: Ich versuche marktkonforme Renditen „most-passive“ mit besonders verantwortungsvollen Geldanlagen zu erreichen (vgl. https://diversifikator.com/de/wp-content/uploads/Das-Diversifikator-Buch.pdf).

Hinweis 2: Um die Lesbarkeit zu erleichtern, habe ich diesen Beitrag nicht genderneutral geschrieben. Man/Frau/Divers möge mir verzeihen.

Ein Gedanke zu „Finanzwissen kann schaden

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