Purer Nachhaltigkeitsansatz
Ich nehme an, dass Anleger über ein beschränktes Geldanlagevolumen verfügen. Außerdem gehe ich davon aus, dass Anleger nicht in alle Länder und Branchen bzw. Unternehmen dieser Welt investieren müssen, um eine ausreichende Diversifikation der Geldanlagen zu erreichen. Es ist unstrittig, dass der sogenannte Grenznutzen zusätzlicher Diversifikation ziemlich schnell abnimmt. Nach zahlreichen aktuellen Studien haben nachhaltige Investments keine bzw. nur sehr selten Rendite- oder Risikonachteile gegenüber traditionellen Geldanlagen. Es spricht also sehr viel dafür, vor allem in die nachhaltigsten Geldanlagen zu investieren. Je weniger Wertpapiere man dafür nutzt, desto strenger nachhaltig kann man anlegen. Ausserdem mag ich Spezialisten. Ich präferiere deshalb einen reinen Solaranbieter gegenüber einem traditionellen Energieanbieter, der seine Solarenergieangebote ausbauen möchte. So stelle ich auch meine eigenen Portfolios zusammen. Damit habe ich bisher sehr gute Erfahrungen gemacht (vgl. www.soehnholzesg.com). Das ist aber nicht typischer. Diversifizierer und traditionelle Konzentrierer sind viel häufiger.
Diversifizierer
Diversifikation, also Streuung, über möglichst viele Wertpapiere, gilt vielfach als der einzige „free Lunch“ der Kapitalanlage. Viele Anbieter von Geldanlagen offerieren deshalb möglichst breit gestreute Indexfonds. Oder sie haben sogenannte aktive diversifizierte Fonds im Angebot, die nur wenig von ihren Referenzindizes abweichen. Solche Anbieter tun sich schwer damit, ihr Investmentuniversum zu reduzieren. Das bedeutet, dass sie Umstellungen auf mehr Nachhaltigkeit nicht besonders mögen, wenn diese zu Reduktionen ihrer Anlagemöglichkeiten führen.
Traditionelle Konzentrierer
Aber auch Anbieter konzentrierter Geldanlageportfolios ändern ihre Portfolios nicht gerne, zumindest nicht aus Nachhaltigkeitsgründen. Sie argumentieren damit, dass die zusätzliche Nutzung von Nachhaltigkeitskriterien dazu führen würde, ihre bisherigen Selektionskriterien zu lockern und damit ihre Angebotsqualität zu verschlechtern.
Angebliche Transitionierer
Der Megatrend zu mehr Nachhaltigkeit bringt aber inzwischen alle Anbieter zum Überprüfen ihrer Investments, denn niemand möchte Marktanteile verlieren. Diversifizierer haben zunächst mit wenigen anspruchslosen Ausschlüssen reagiert. Streubombenhersteller fanden sich sowieso kaum in den Portfolios und viele Ausschlüsse führten allenfalls zu kleinen Portfolioänderungen. Inzwischen werden die Nachhaltigkeitsanforderungen zwar strenger, aber bisher haben sich viele Diversifizierer noch kaum verändert (vgl. Studie zu Fonds: Greenwashing im großen Stil (finanzwende-recherche.de) oder auch OneYearOnBlackRockStillAddictedToFossilFuels.pdf (reclaimfinance.org)). Eines ihrer Hauptargumente ist, dass sie die sogenannte Transition zu einer nachhaltigeren Wirtschaft unterstützen möchten und deshalb weiterhin in noch nicht sehr nachhaltige Unternehmen investieren müssen, damit diese nachhaltiger werden können.
Nachhaltigkeitsgrenzen börsennotierter Geldanlagen
Das Transitionsargument hört sich zunächst gut an. Bei börsennotierten Wertpapieren bringen Wertpapierkäufe den Emittenten aber kein zusätzliches Geld (vgl. Absolute und Relative Impact Investing und Additionalität – Verantwortungsvolle (ESG) Geldanlage (prof-soehnholz.com)).
Trotzdem können massive Verkäufe und sogar Verkäufe kleinerer Volumina von Wertpapieren, wenn sie und ihre Begründungen bekannt werden, zu negativen Kurseffekten bei den Emittenten führen. Diese können zu schlechteren Finanzierungsbedingungen führen. Transitionsbefürworter bleiben deshalb lieber wie bisher investiert und argumentieren oft, dass sie mit der Ausübung ihrer Stimmrechte oder sogar aktivem Dialog bzw. Engagement Wertpapieremittenten zu nachhaltigerem Verhalten bewegen können. Die Wirkung von Stimmrechten und Engagement kann aber durchaus bezweifelt werden, sofern die Anleger nicht sehr mächtig sind und sehr langfristig engagiert bleiben (vgl. Divestments bewirken mehr als Stimmrechtsausübungen oder Engagement | SpringerLink).
Vergangenheit vergessen?
Es ist kein Geheimnis, dass Produzenten fossiler Energien bisher massive negative Umweltverschmutzungen nicht in ihre Produkte eingepreist hatten und das auch aktuell nicht ausreichend tun. Anstatt diese sogenannten externen Effekte zu reduzieren, haben traditionelle Energieproduzenten von ihnen profitiert. Das kam und kommt immer noch auch Wertpapieranlegern in Form von Kursteigerungen, Dividenden und Zinsen zugute.
Dividendenreduktion für Transitionierer?
Die meist sehr auskömmlichen Gewinne solcher Unternehmen könnten zu einem Großteil in Transitionsmaßnahmen investiert werden, anstatt sie an Anleger auszuschütten. In der Theorie hören sich solche Ausschüttungsreduktion gut an: Transitionsinvestments gelten als Zukunftsinvestments und Unternehmensgewinne dafür einzusetzen sollte im Sinne aller Beteiligten sein.
Aus Sicht von (transitionsorientierten) Nachhaltigkeitsbefürwortern müssten Dividendenausschüttungsrestriktionen auch deshalb attraktiv sein, weil sie alle Anleger treffen und damit vor allem diejenigen Altanleger, die sich bisher offenbar wenig um Nachhaltigkeit bemüht haben. Bisher habe ich aber noch von keinem solchen Ausschüttungsverzicht gehört und ich kenne auch keine Initiativen, die Ausschüttungsverbote zur Transitionsfinanzierung fordern.
Kritiker meiner Argumentation werden bemängeln, dass offizielle Dividendenbeschränkungen sicher nicht für alle Transitionsunternehmen weltweit gleichermaßen eingeführt werden können und damit in den Wettbewerb eingegriffen würde. Nachhaltige Anleger müssen aber nicht auf Politiker und Regulatoren warten. Sie können selbst ihre Stimmrechte einsetzen und Engagement ausüben, damit Emittenten weniger ausschütten und mehr in Transition investieren. Anleger, die damit nicht einverstanden sind, können ihre Wertpapiere verkaufen. Käufer wären wohl vor allem nachhaltige Anleger, die ebenfalls an Transitionsinvestments interessiert sind, was den Transitionsdruck auf die Emittenten erhöhen könnte.
Scheinheilige Transitionierer?
Anders gefragt: Dürfen nachhaltige Anleger überhaupt zulassen, dass hohe Dividenden an oft nicht nachhaltig orientierte Anleger ausgeschüttet werden? Denn damit werden letztere weiterhin dafür belohnt, dass die von ihnen selektierten Emittenten von nicht-eingepreisten negativen Effekten profitiert haben. Oder sind angeblich nachhaltig orientierte Anleger so an diesen Dividenden interessiert, dass sie Dividendenreduktionen nicht unterstützen wollen?
Wenn die nachhaltigen Anleger selbst diese Dividenden besser im Sinne einer Transition zu einer nachhaltigen Wirtschaft einsetzen können als die dividendenzahlenden Unternehmen, wäre das sogar nachvollziehbar. Aber dafür spricht wenig. Denn in dem Fall könnten nachhaltige Anleger ihre begrenzten Anlagevolumina ja direkt auf bereits besonders nachhaltige Unternehmen fokussieren und müssten nicht in Transitionsunternehmen investieren. Eine neue Studie zeigt sogar, dass Desinvestments einen solchen Druck auf die desinvestierten Unternehmen ausüben kann, dass sie schneller umweltfreundlicher werden als Transitionsunternehmen (vgl. The Effects of Mutual Fund Decarbonization on Stock Prices and Carbon Emissions von Martin Rohleder, Marco Wilkens und Jonas Zink im Journal of Banking and Finance (Forthcoming)).
Es spricht mehr dafür, dass viele der sich nachhaltige gebenden Anleger lieber den Weg des geringsten Widerstands gehen. Es ist viel einfacher, ein Mal pro Jahr Stimmrechte auszuüben oder sporadisch mit einzelnen Unternehmen über Nachhaltigkeit zu diskutieren (zum Beispiel, um ESG Boni einzuführen vgl. Pay Gap, ESG-Boni und Engagement: Radikale Änderungen erforderlich – Verantwortungsvolle (ESG) Geldanlage (prof-soehnholz.com)), als die bisherigen Investmentstrategien nennenswert zu ändern und zu desinvestieren und damit bisherige Track-Records und Marketingstories zu gefährden.
Transitionierer müssen radikaler werden
Aus meiner Sicht sollten sich Anleger auf die bereits nachhaltigsten Investments konzentrieren. Wenn man Transition fördern möchte, dann sollte man das konsequent machen und vor allem auf die Wertpapieremittenten setzen, die alle verfügbaren Ressourcen dafür einsetzen. Wenn man auf Dividendenstrategien setzt, sollte man entweder streng nachhaltige Unternehmen wählen oder solche Unternehmen, die vor allem über streng nachhaltige Anleger verfügen, denen die Dividenden zu Gute kommen.