SDG-Umsätze: Attraktive Nachhaltigkeitskennzahl und neue SDG-Vereinbarkeitsdaten für Aktien, ETFs und aktive Investmentfonds mit einer Illustration von Pixabay von Joshua Miranda
Seltsame angeblich nachhaltige Unternehmen: Berechtigte ESG-Kritik
Meiner Meinung nach ist das größte Problem sogenannter nachhaltiger Fonds, dass sie Wertpapiere enthalten, die für viele potenzielle Interessenten nicht nachhaltig sind. Laut Morningstar ist zum Beispiel Iberdrola aus Spanien in den Top 20 vertreten (vgl. „Diese 8 Aktien sind in globalen Nachhaltigkeitsfonds weit verbreitet“ von Morningstar.de vom 29.1.2025). Iberdrola erwirtschaftet aber einen nennenswerten Teil seiner Umsätze mit Gas und Atomenergie. Und Aptiv PLC ist ein traditioneller Automobilzulieferer und auch TE Connectivity gehört zu den Top 20: „Der Konzern entwickelt, fertigt und vermarktet Produkte für Kunden im Automobilsektor sowie im Bereich Luft- und Raumfahrt, Verteidigungssysteme, Telekommunikation, Computer und Unterhaltungselektronik“ (Wikipedia-Abruf vom 16.2.2025). Zu den Top 20 gehört auch Trane Technologies: “… focused on heating, ventilation, and air conditioning (HVAC) and refrigeration systems” (Wikipedia-Abruf vom 16.2.2025).
HQ Trust hat vor kurzem eine Analyse veröffentlicht, nach der bei sogenannten Klimafonds NVIDIA, Microsoft, Apple, Alphabet, Meta, und Amazon besonders häufig hoch allokiert werden (vgl. Hannah Dudeck in Das Investment vom 4.2.2025: Welche Aktien in Klimafonds hoch gewichtet sind). Diese Unternehmen verbrauchen sehr viel Energie und Wasser. Auch das Halbleiterunternehmen Broadcom und Pharmaunternehmen Eli Lilly gehören oft zu den Top Ten solcher Fonds.
Diese Unternehmen haben meistens gute oder sogar sehr gute ESG-Ratings. Das zeigt aber nur, dass sie in Bezug auf ihre Wettbewerber aus derselben Branche relativ (Best-in-Class) ökologisch, sozial und mit guter Unternehmensführung arbeiten. Best-in-Universe ESG-Scores, bei denen ein Vergleich mit allen gerateten Unternehmen erfolgt, werden dagegen selten veröffentlicht. Außerdem kann auch ein Unternehmen, das im Vergleich zu allen anderen Aktien gute ESG-Scores hat, Produkte und Services anbieten, die nicht besonders nachhaltig erscheinen, weil sich die Scores vor allem auf die Prozesse der Unternehmen beziehen.
Gute Zusatzkennzahl verfügbar: SDG-Umsätze
Zusätzlich kann man schätzen bzw. messen, wie gut Unternehmen mit den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen vereinbar sind. Dafür kann man klassische Branchenkategorisierungen nutzen. Danach wären zum Beispiel alle Unternehmen mit dem Fokus Erneuerbare Energien oder Gesundheit komplett SDG-kompatibel. Seit einigen Jahren bieten Nachhaltigkeitsdatenanbieter aber detailliertere Beurteilungen an (vgl. dazu zum Beispiel SDG-Wirkungsmessung – ein Update zu Datenanbietern und deren Methodik von der DVFA vom Oktober 2023).
Dabei sollte man zwischen SDG-Scores und SDG-vereinbaren Umsätzen und -Investments unterscheiden. SDG-Scores umfassen oft viele Elemente von ESG-Scores wie zum Beispiel Strom- und Wasserbrauch oder Diversitätskennzahlen. Aber auch Unternehmen mit guten SDG-Scores können nicht-nachhaltige Produkte und Services anbieten. SDG-vereinbare Umsätze sind deshalb eine hilfreichere Kennzahl. Auch SDG-vereinbare Investitionen können genutzt werden, um Unternehmen zu finden, die aktuell noch relativ geringe SDG-vereinbare Umsätze haben, aber bei denen sich das durch solche Investitionen künftig ändern sollte.
+100% oder -20% bei unterschiedlichen Definitionen der SDG-Umsätze
SDG-vereinbare Umsätze werden bereits von einigen Praktikern genutzt. Anleger müssen dabei auf mindestens zwei Aspekte achten: Wird eine unternehmensbezogene oder eine aktivitätsbasierte Bestimmung genutzt und werden Netto- oder Brutto-Umsätze verwendet. Bei der unternehmensbezogenen Methode („entity based“) wird ein Unternehmen mit Umsätzen oberhalb des selbst festgelegten Mindestwertes von zum Beispiel 30% als komplett SDG-vereinbar eingeschätzt. So wird ein Anbieter mit 60% Umsätzen mit fossiler Energie und 40% Umsätzen mit erneuerbarer Energie als 100% SDG-kompatibel klassifiziert.
Wenn nur der positive „Brutto-„SDG-vereinbare Umsatz betrachtet wird, kommt dasselbe Unternehmen auf 40% SDG-kompatible Umsätze. Bei der „Netto-„SDG-Vereinbarkeits-Umsatzbetrachtung ergeben dagegen 40% erneuerbare (positive) und 60% fossile (negative) Umsätze „netto“ -20% SDG-vereinbare Umsätze.
Auch bei Anwendern der strengen Netto-Aktivitätsmethode kann es noch große Unterschiede geben. In der einfachen Variante werden zum Beispiel alle komplett auf Gesundheit oder erneuerbare Energien fokussierten Unternehmen als zu 100% SDG-kompatibel klassifiziert. Andere Anbieter schränken die Anrechnung aber ein, zum Beispiel nur in Bezug auf bestimmte Regionen, vor allem Entwicklungsländer, ober bestimmte Gesundheitsanwendungen wie zum Beispiel nur die schwersten Krankheiten.
Der von mir genutzte Datenanbieter Clarity.ai zum Beispiel weist mit einem solchen strengen Ansatz für einen diversifizierten Gesundheits-ETF nur 7 % und für einen breit gestreuten ETF für erneuerbare Energien 43 % aktivitätsbasierte SDG Netto-Umsatzvereinbarkeit aus.
Die von diesem Datenanbieter als SDG-kompatibel klassifizierten Unternehmen sind auch von Laien anhand einfacher Analysen der Umsätze dieser Unternehmen sehr gut nachvollziehbar. Für (prozessorientierte) SDG- und ESG-Scores gilt das leider nicht, weil sie sich oft aus Dutzenden von nicht einfach nachvollziehbaren Informationen zusammensetzen.
Ein weiterer Vorteil der Kennzahl SDG-vereinbare Umsätze ist, dass diese nicht nur grüne, sondern auch soziale Umsätze umfasst, die bisher regulatorisch nicht ausreichend definiert sind und deshalb in vielen Nachhaltigkeitsfonds unterrepräsentiert sind. Deshalb ist (aktivitätsbasierter Netto-) SDG-Umsatz eine Kennzahl, die nicht nur für Produkteinschätzungen, sondern auch für Regulierungszwecke gut geeignet ist.
Anleger sollten ESG-Scores und SDG-Umsätze gemeinsam nutzen
Allerdings sollten ESG-Scores (oder SDG Scores) auch eine wichtige Rolle spielen, denn ein Wasserstoff-Spezialist oder ein Elektroautobauer wie Tesla mit schlechten Sozialscores sind keine umfassend nachhaltigen Investments.
Wenn für Anleger zusätzlich noch Ausschlüsse oder Shareholder-Engagement eine Rolle spielen müssen sie entscheiden, wie sie die einzelnen Nachhaltigkeitskriterien kombinieren bzw. gewichten wollen. Dazu hat die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Assetmanagement schon vor einigen Jahren ein kostenloses Tool veröffentlicht, das kürzlich aktualisiert wurde (vgl. 18 Dimensionen nachhaltiger Anlagepolitik vom 8. November 2024 und ein aktuelles Anwendungsbeispiel hier Absolut_Report_Spezial_2024_06_DVFA_Anforderung.pdf).
Ich nutze die einzelnen Elemente für direkte Aktieninvestments so: Viele 100% Ausschlüsse, relativ hohe separate Best-in-Universe Umwelt-, Sozial und Governancescore-Anforderungen und möglichst hohe aktivitätsbasierte netto SDG-Umsätze. Außerdem sollten die Unternehmen möglichst positiv auf mein Shareholder Engagement reagieren (zu den Begründungen und Details vgl. Nachhaltigkeitsinvestmentpolitik_der_Soehnholz_Asset_Management_GmbH)).
Es bleiben genug Diversifikationsmöglichkeiten übrig
Vielfach wird kritisiert, dass zu hohe Nachhaltigkeitsanforderungen die mögliche Diversifikation von Portfolios beschränken würden und deshalb zu riskanteren Portfolios führen würden. Sicher ist, dass jede Art von Anlagebeschränkung das Investmentuniversum reduziert. Weniger Aktien im Portfolio zu haben ist aber nicht gleichbedeutend mit mehr Risiko. So gilt die aktuell hohe Gewichtung von Technologie- und US-Aktien in Weltaktienindizes, die sehr viele Wertpapiere enthalten, als ziemlich riskant. Außerdem ist der Grenznutzen von Diversifikation typischerweise sehr gering: Zusätzlich Aktien bringen diversifizierten Portfolios wenig zusätzliche Risikosenkungen.
Hinzu kommt, dass eine Beschränkung auf Aktien mit geringen Umwelt-, Sozial- und Umweltrisiken tendenziell Gesamtrisiko-senkend und nicht Risiko-erhöhend ist. Außerdem lässt sich gut argumentieren, dass Investments in Unternehmen, die gut mit den nachhaltigen Zielen der Vereinten Nationen vereinbar sind, zumindest mittel- bis langfristig gute Renditen haben sollten. Dagegen sollten künftig immer weniger Käufer bzw. verfügbare Investments für SDG-schädliche Unternehmen bereitstehen, was deren Renditeaussichten erheblich reduzieren kann.
Dutzende von Aktien aber nur wenige SDG-aligned ETFs oder aktive Investmentfonds
Aus über dreissigtausend Aktien mit ausreichenden Nachhaltigkeitsdaten sind nach Anwendung meiner strengen Nachhaltigkeitsanforderungen noch ungefähr 150 mit mindestens 50% netto-SDG Umsatzvereinbarkeit übrig. Davon haben etwas mehr als die Hälfte über 90% SDG-Umsatz. Aus diesen bilde ich ein Portfolio aus 30 Aktien unterschiedlicher Branchen und Länder mit inzwischen 99% SDG-Umsatzvereinbarkeit. Weil (SDG-)spezialisierte Unternehmen eher klein sind, ist die durchschnittliche Kapitalisierung ähnlich wie die von Small- bzw. MidCap-Unternehmen. In den letzten Jahren wurde damit eine ähnliche Rendite wie die von traditionellen Sammle-/MidCap-Unternehmen bei erheblich niedrigerer Schwankung erreicht.
Wenn man meine Ausschlusskriterien ändert, zum Beispiel Tierversuche und genetisch modifizierte Organismen zulässt, erfüllen auch einige Großunternehmen meine Nachhaltigkeitsanforderungen.
In einer Studie von Clarity.ai vom Dezember 2024 (s. SDG Revenue Alignment: Bringing Clarity to Impact Investing | Clarity AI) wird auf Basis von deren ziemlich strikten SDG-Umsatzberechnungen festgestellt, dass Artikel 9 Fonds im Schnitt nur eine SDG-Umsatzvereinbarkeit von 21% haben während es bei Impactfonds immerhin 48% sind (siehe Figure 3). Die von Clarity berechneten regulatorisch definierten Sustainable Investment Quoten liegen mit 82% bei Artikel 9 Fonds bzw. 70% bei Impactfonds dagegen erheblich höher (s. Figure 4).
Konkreter wird es mit der von der Soehnholz ESG im Januar 2025 durchgeführten Analyse auf Basis von Daten von Clarity.ai (zu einer früheren unvollständigen Analyse siehe Impactfonds im Nachhaltigkeitsvergleich). Die Datenbasis umfasst knapp fünfhunderttausend Fondstranchen. Davon sind geschätzt ungefähr die Hälfte Tranchen von Aktienfonds, die vermutlich in Deutschland erworben werden können. Etwa fünfzehntausend Tranchen (5,5% der Aktienfonds) bzw. 2.400 Fonds inklusive etwa 150 ETFs haben eine netto SDG-Umsatzvereinbarkeit von mindestens 25%. Circa 3.500 Tranchen bzw. 600 Fonds haben eine netto SDG-Umsatzvereinbarkeit von mindestens 50% (1,3% der Aktienfonds).
Von den Fonds mit mindestens 25% SDG-Umsatzvereinbarkeit haben 96% einen Best-in-Universe ESG Score (eigene Definition auf Basis von Daten von Clarity.ai) von mindestens 50 und 74% mindestens 60. Es gibt allerdings nur 42 Fonds mit einem ESG-Score von 70 oder mehr (2%).
Maximal 95% SDG-Vereinbarkeit oder ein ESG Score von 72
Der höchste Best-in-Universe ESG-Score ist 72. Dabei handelt es sich um einen Fonds mit Investments in Schweizer Aktien. Die anderen Top-Fonds sind fast ausschließlich Gesundheitsfonds. Der ESG-beste diversifizierte Fonds ist der Sycomore Social Impact Fonds mit einem ESG-Score von 71. Dieser Fonds hat einen SDG-Umsatz von 29%.
Nach SDG-Umsatz geordnet gibt es nur zwei Fonds mit 95% (oder mehr) SDG-Umsatzanteil. Neben dem von mir beratenen FutureVest Equity Sustainable Development Goals ist das der Rhenman Healthcare Equities Hedgefonds. Fünf Fonds haben 90% SDG-Umsatzvereinbarkeit oder mehr und für knapp 60 Fonds wird eine SDG-Umsatzvereinbarkeit von 80% oder mehr ausgewiesen.
Bei einem Gleichgewicht von ESG- und SDG-Kriterien liegt der FutureVest Equities SDG mit 82,5 an erster Stelle vor dem Hedgefonds von Rhenman mit 79. Nur knapp über 100 Fonds erreichen 70 und mehr und der Median der ungefähr 2.000 Fonds liegt bei 48,5 (Mittelwert 51).
Aus den nachhaltigsten ETFs bzw. aktiven Fonds stelle ich diversifizierte Portfolios mit aktivitätsbasierten Netto-SDG Umsatzvereinbarkeiten von über 70% und hohen ESG-Best-in-Universe Scores zusammen. Für das SDG ETF-Portfolio 2025 nutze ich 12 (Themen-) ETFs mit einer SDG-Umsatzvereinbarkeit von insgesamt knapp 80%. Bei dem in Bezug auf die zugrunde liegenden Wertpapiere etwas stärker diversifizierten Portfolio aus aktiv gemanagten Fonds sind es insgesamt 70% SDG-Vereinbarkeit.
Die auf besonders gute ESG-Scores statt auf SDG fokussieren Portfolios aus aktiven Fonds erreichen dagegen nur etwas über 40% SDG-Vereinbarkeit und die entsprechenden ETF-Portfolios liegen sogar bei unter 20%.
Die ESG-Scores der unterschiedlichen Portfolios, auch die der SDG-Portfolios, liegen dagegen wesentlich näher zusammen.
Vereinfachend zusammengefasst haben auch diese Portfolios in der Vergangenheit ähnliche Performances wie traditionelle Vergleichsportfolios erreicht.
Zusammenfassung und Ausblick: Nachhaltigere Fonds und bessere Regulierung?
Konsequent nachhaltige Investments sollten niedrige ESG-Risiken haben. Für an nachhaltigen Investments interessierte Anleger können zudem (aktivitätsbasierte) SDG-vereinbare (Netto-)Umsätze eine sehr wichtige weitere Kennzahl sein. Der Hauptvorteil: Diese Kennzahl ist relativ einfach verständlich und nachvollziehbar und kann somit Green- und Sozialwashing viel einfacher erkennbar machen.
Bisher gibt es aber erst wenige Fonds bzw. ETFs, die diese Kennzahl ausweisen und sehr wenige, die hohe Netto-SDG Vereinbarkeiten haben.
ESG-Scores, Principal Adverse Indicators, Do-No-Significant-Harm-Kriterien und Sustainable Investment Quoten sind oft nur aufwändig zu berechnen oder schwer nachzuvollziehen. Mindestquoten von Netto-SDG-vereinbaren Umsätzen und/oder Kapitalinvestitionen sind eine viel bessere Basis für die Selektion von nachhaltgien Investments und auch die Regulierung von Nachhaltigkeitsinvestments.