PRISC – Policy for Responsible Investment Scoring: Die Taxonomiealternative von der DVFA

PRISC-Ausgangslage

Diese Nachhaltigkeitspolitik wurde auf Basis des Konzeptes der DVFA Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V. vom April 2020 zusammengefasst (siehe hier sowie Downloads unter „PRISC Erläuterungen als PDF“). Die hier genutzten Begriffe entsprechen der DVFA Klassifikation.

PRISC im Überblick

Das Tool umfasst 8 Beurteilungsdimensionen mit je drei Ausprägungen und ermöglicht deren Aggregation zu einem umfassenden Urteil.

  1. Ausschlüsse (“Schlechtes” vermeiden, Exclusions bzw. Negativscreening)
  2. Impact-/SDG-Score (“Gute” Investments bzw. Positivscreening)
  3. ESG-Score Definition (Aggregierter versus differenzierter ESG-Score)
  4. ESG-Score Anwendung (Best-in-Universe versus Best-in-Class)
  5. ESG-Score Cut-off (ESG Mindestanforderungen)
  6. ESG-Score Messungshäufigkeit (Incidents)
  7. Stimmrechtsausübung (Voting)
  8. Aktive Einflußnahmeversuche (Engagement)

Das Tool gewichtet in der DVFA-Standardversion alle Kategorien gleich.

Ich nutze nur die Kategorien 1) bis 5). Stimmrechtsausübungen und Aktionärsengagement sehe ich als für die meisten Anleger nicht effizient an. Auch „Incidents“ bzw. unterjährige Veränderungen von ESG-Scores berücksichtige ich nicht (Begründungen siehe auch https://prof-soehnholz.com/esg-kritik-ueber-20-falschaussagen/).

Bei dem Tool wird davon ausgegangen, dass Geldanlageportfolios normalerweise nicht auf alle Kategorien ausgerichtet sind, also zum Beispiel Impact und ESG gleichzeitig. Deshalb hat die DVFA einen Adjustierungsfaktor eingeführt, der standardmäßig davon ausgeht, dass Fonds nur 4 von 8 Kategorien nutzen bzw. erfüllen. Dieser Adjustierungsfaktor beträgt in der Standardeinstellung 8/4, also 200%. Ich nutze diese Adjustierung bis auf Weiteres ohne Veränderung. 

PRISC-Basis für die Bestimmung von verantwortungsvoller Geldanlagepolitik

Ich gehe davon aus, dass Aktienkäufe positive und Aktienverkäufe negative Signale für Aktienkurse und setzen und damit auch Einfluss auf Kreditfinanzierungsbedingungen und Bonifikationen haben. Außerdem sollte limitiertes Kapital zwar ausreichend diversifiziert angelegt werden, aber auch auf „gute“ Anlagen fokussiert werden.

PRISC-Ausschlüsse: Mehr sind besser

Bei der Kategorie „Ausschlüsse“ nehme ich an, dass mehr Ausschlüsse „verantwortlichere“ Investments ermöglichen. Dabei ist zu entscheiden, wie ein Ausschluss definiert wird. In SRI-ETFs (Socially Responsible Investment Exchange Traded Fonds) beispielsweise bzw. in den ihnen zugrunde liegenden Indizes findet man oft den Hinweis, dass bestimmte Umsatzanteile auch für „ausgeschlossene“ Segmente zulässig sind. Ich bin der Ansicht, dass ein Ausschluss eindeutig sein sollte. Wenn Tabak ausgeschlossen ist, sollten z.B. auch keine 5% Umsatzanteil mit der Produktion von Tabak erlaubt sein.

Dabei beziehe ich mich aber nur auf die Produktion und spezialisierte Lieferanten bzw. Abnehmer/Händler. So sollte ein spezialisierter Tabakhändler ausgeschlossen werden, nicht jedoch ein klassischer Lebensmittelhändler, der auch Tabak anbietet. 

Auch ein Produzent der selbst keinen Tabak produziert, darf Lieferanten und Abnehmer haben, die im Tabakgeschäft tätig sind, ohne aus dem Portfolio ausgeschlossen zu werden.

In Bezug auf die Anzahl von Ausschlüssen orientiere ich mich an dem FNG Marktbericht, der die in Deutschland am häufigsten genutzten Ausschlüsse nennt (für 2019 Tab. 2.2. S. 14). Andere Ausschlußlisten zählen Streubomben, ABC-Waffen, Atomwaffen, Militärwaffen, etc. als einzelne Ausschlußkategorien. Wie die FNG-Liste zähle ich Waffen als eine einzige Ausschlusskategorie.

PRISC-Impact bzw. Positivauswahl: Nettobetrachtung 

Neben dem sogenannten negativen Screening kann man auch explizit in besonders „positive“ Unternehmen investieren. Dabei ist zu bedenken, dass börsengelistete Unternehmen in erster Linie eigene Gewinnziele im Sinne der Aktionäre verfolgen und nicht primär nicht-kommerziellen positiven Impact.

Bei der Bestimmung von „Impact“ orientiere ich mich an den Sustainable Development Goals der United Nations, auch wenn diese nicht eindeutig zur Bestimmung guter Unternehmen geeignet sind. So findet man in manchen sogenannten Impactindizes bzw. -Fonds Unternehmen wie Danone, weil Danone Nahrungsmittel produziert. Außerdem findet man teilweise traditionelle Produktions- oder Energieunternehmen in solchen Indizes/Fonds, nur weil sie einen kleinen positiven Umsatzanteil im Sinne der SDG-Ziele haben.

Ich nutze nur Netto-Umsätze im Sinne der SDG-Ziele. Das heißt, dass ein Unternehmen erst in ein Impact Portfolio aufgenommen werden kann, wenn es mindestens 50% des Umsatzes in SDG-Segmenten macht. Solange noch keine SDG-Messungsstandards festliegen, muss man sich dabei auf die Meldungen der Unternehmen selbst bzw. unabhängige Datenanbieter verlassen oder die relevanten Umsätze selbst bestimmen, so wie ich es mache.

Ein Portfolio gilt danach als umso verantwortungsvoller, je mehr kumulierten Netto-Umsatz die Unternehmen im Portfolio im Sinne der SDG-Ziele machen. Dieser kann z.B. bei einem reinen Portfolio von Erzeugern erneuerbarer Energien 100% erreichen.

Hierbei ist zu beachten, dass nur sehr wenige börsennotierte Unternehmen mehr als 50% des Umsatzes in SDG-Segmenten machen. Wenn einem Anleger dieser Punkt sehr wichtig ist, kann das zu einem Ausschluß des allergrößten Teils von börsennotierten Anlagen führen.

Eine Anmerkung zum Zusammenhang der Kategorien 1) und 2): Ein Portfolio mit harten Ausschlüssen kann trotzdem ohne „SDG-Umsätze“ sein. Ein SDG-fokussiertes Portfolio dagegen nutzt typischerweise (implizit) sehr viele Ausschlüsse.

PRISC-ESG-Score Definition: Granularer ist besser

ESG-Indizes bzw. ESG-ETFs gewichten und/oder selektieren Wertpapiere nach (aggregierten) ESG-Beurteilungen, nutzen aber meist nur wenige Ausschlüsse. SRI-Indizes bzw. ETFs nutzen typischerweise mehrere „weiche“ Ausschlüsse (d.h. keine 100% Ausschlüsse) und haben Mindestanforderungen an (aggregierte) ESG-Ratings.

Zum Vergleich der Strenge der Nachhaltigkeit nutze ich die Anzahl der Bestandteile im jeweiligen Index: Ein (physisch replizierender) „nachhaltiger“ (SRI) Weltaktienindex mit weniger Aktien ist typischerweise nachhaltiger als einer mit mehr Aktien (ESG).

ESG-Indizes arbeiten meist mit aggregierten ESG-Scores. Eine gute Unternehmensführung kann so einen schlechten Umweltscore ausgleichen. Ich meine, dass eine separate Bewertung der Kriterien zur Bildung verantwortungsvollerer Portfolios beitragen kann. D.h. ein Portfolio, das einen ESG-Mindestscore von 50% nutzt, ist in der Regel weniger „verantwortungsvoll“ als ein Portfolio, das für E, S und G jeweils einen Mindestscore von 50% verlangt, bevor ein Wertpapier ins Portfolio aufgenommen werden darf.

Wenn ein aggregierter ESG-Score genutzt wird, kann man folgende Überschlagsrechnung machen: Die Anzahl der vom ESG-Datenanbieter gerateten Unternehmen beträgt z.B. 6.000. Wenn die Top 50% Aktien nach ESG-Rating zugelassen werden, sind 3.000 Aktien zulässige Investments. Bei separater Messung reduziert sich das Universum unter Umständen aber sehr viel stärker, denn es gibt viel weniger als 3.000 Unternehmen, die beim E, S und G Score gleichzeitig zu den 50% Besten gehören.

Ein ESG-Score kann sich aus über 100 Einzelscores z.B. für Luft- und Wasserverschmutzung, Diversity etc. zusammensetzen. Mindestscores für alle Kriterien einzeln vorauszusetzen ist deshalb wenig praktikabel. Deshalb nutze ich nur für E, S und G-Ratings Mindestanforderungen. Ich verwende die E, S und G-Ratings von Refinitiv (ehemals Thomson Reuters), welche die im Klassifikationsdokument der DVFA genannten Mindestanforderungen an ESG-Ratings erfüllen.

Best-in-Universe (BiU) ist besser als Best-in-Class (BIC)

Dabei ist wichtig zu unterscheiden, ob ein sogenanntes Best-in-Universe (BiU) oder best-in-Class (BiC) Verfahren genutzt wird.

Angenommen, nur die 25% besten aller Unternehmen in Bezug auf einen absoluten ESG-Score dürfen in ein Portfolio aufgenommen werden (BiU). Das würde bei einem branchendiversifizierten Selektionsuniversum dazu führen, dass z.B. Ölunternehmen nicht in das Portfolio kommen würden. Da viele Anleger zwar nachhaltig investieren wollen aber dabei keine zu starken Abweichungen von breiten Indizes haben wollen (sogenannter Tracking Error), lassen sie aber meist auch die nach ESG-Score besten Ölunternehmen für ein Portfolio zu (BiC).

ESG-Datenanbieter vergeben sowieso typischerweise Ratings innerhalb von Gruppen von Unternehmen. Wenn die definierte (Peer-)Gruppe nur fossile Energieproduzenten umfasst, ist ein gutes E-Rating in der Regel eine weniger umweltfreundliche Indikation, als wenn alle Energieversorger inkl. erneuerbarer Energien beurteilt werden. Ein schlechtes E-Rating in einer „umweltfreundlichen“ Ratingruppe muss beim Best-in-Class-Verfahren deshalb auch nicht grundsätzlich ökologisch schlecht sein.

Mindestanforderungen an ESG-Scores

Mindestscoring heißt, dass z.B. die schlechtesten x% nach ESG-Score oder separaten Kriterien nicht für ein Portfolio zulässig sind. Ich nutze grundsätzlich nur noch Aktien für Einzelaktienportfolios, die zu den Aktien mit den 50% besten E, S und G Scores von Refinitiv gehören. Da Refinitiv, wie alle mir bekannten großen Ratinganbieter, ein Best-in-Class Rating nutzt, sind die im vorherigen Abschnitt genannten Einschränkungen zu beachten.

ESG-Messfrequenz: Häufiger ist nicht unbedingt besser

Mit der Messfrequenzfrage wird abgefragt, wie oft „verantwortlichkeitsrelevante“ Daten aktualisiert werden. Refinitiv und viele andere ESG-Ratingagenturen machen das grundsätzlich einmal pro Jahr. Das liegt vor allem daran, dass Unternehmen die zahlreichen und teilweise schwer zu erhebenden Daten nur ein Mal im Jahr erheben. Außerdem ändern sich ESG-Ratings typischerweise nicht sehr stark von Jahr zu Jahr.

Mit automatisierten Textanalysen und maschinellem Lernen ist es technisch möglich, sogenannte ESG-relevante Incidents (Ereignisse) sehr zeitnah in Erfahrung zu bringen. Änderungen im Portfolio könnten sofort erfolgen und es muss nicht abgewartet werden, bis die jährlichen Updates der ESG-Ratings vorliegen. Allerdings muss man sich dabei normalerweise aufgrund der Vielzahl der Daten auf maschinelle und nicht durch Analysten überprüfte Daten verlassen. Bei häufigen Änderungen sind zudem die (Handels-)Kosten für die Umsetzung im Portfolio zu berücksichtigen.

Deshalb reichen mir jährliche ESG-Scores und ich nutze die Messfrequenz-Kategorie nicht zur Beurteilung von Portfolios.

Stimmrechtsausübung (Voting) und Engagement sind positiv, aber ineffizient

Von verantwortungsvollen Anlegern kann grundsätzlich erwartet werden, dass sie ihre Stimmrechte „nachhaltig“ ausüben. Das ist umso einfacher, je weniger Titel im Portfolio sind. Außerdem sind Teilnahmen an Hauptversammlungen und Stimmrechtsausübungen einfacher, wenn man der jeweiligen Sprache mächtig ist, Das heißt, daß das für deutsche Anleger für ein rein deutsches Portfolio am einfachsten und günstigsten ist.

Anleger mit kleinem Anlagevolumen haben aber oft nur sehr wenige Anteile und damit Stimmrechte bei Hauptversammlungen. Zudem sind meist nur wenige Beschlüsse ESG-relevant und ist es sehr aufwändig, alle möglichen Beschlüsse aller Unternehmen im Portfolio zu überwachen.

Außerdem sollte sich (nicht-)nachhaltiges Unternehmensverhalten auf die ESG-Ratings von Unternehmen auswirken. Ich nutze die Voting-Kategorie deshalb nicht als zusätzliche Kategorie zur Nachhaltigkeitsbeurteilung von Portfolios, sondern plädiere für einen Nichtkauf bzw. Verkauf (Divestment) von Titeln mit unerwünschtem Verhalten. Ich gehe dabei davon aus, dass nicht-nachhaltiges Verhalten der Unternehmen in meinen Portfolios aufgrund der vielen genutzten Ausschlüssen und der strengen ESG-Anforderungen selten vorkommen wird.

Engagement von Anteilseignern geht über die passive Abstimmung über vom Unternehmen vorgelegte Entscheidungsoptionen hinaus. Mit Engagement soll aktiver Einfluss im Hinblick auf verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln erfolgen.

Anleger, die breit diversifiziert anlegen wollen, haben immer auch Anteile von Unternehmen im Portfolio, die (noch) nicht durchgehend verantwortungsvoll aufgestellt sind und bei denen Engagement grundsätzlich zu Verbesserungen führen kann.

Die für Voting gemachten Einschränkungen gelten aber noch stärker für Engagement, weshalb ich dieses Instrument bzw. diese Beurteilungskategorie ebenfalls nicht für meine Portfolios nutze.

PRISC-Kalibrierung

Die DVFA Sustainable Investment Kommission hat ihr Standardschema mit 8 gleichgewichteten Kategorien auf einige große „nachhaltige“ institutionelle Fonds und ETFs angewendet. Dabei kam ohne Adjustierung kaum ein „verantwortungsvoller“ Fonds über 50% PRISC-Score hinaus. Die besten verantwrotungsvollen Fonds sollen aber grundsätzlich die Chance haben, einen perfekten Score erreichen zu können. Deshalb wird von der DVFA zunächst ein Adjustierungsfaktor von 200% genutzt. Das heißt, dass ein Portfolio, welches 40% erreichen würde, auf 80% Score kalibriert wird. Die DVFA will die Kalibrierung regelmäßig überprüfen und an die Marktgegebenheiten anpassen.

Obwohl ich nur fünf der acht Kategorien nutze, erreichen viele der mir bekannten sogenannten „nachhaltigen“ Fonds ohne Kalibrierung trotzdem nur unter 50% des möglichen Scores. Deshalb behalte ich die 200%-Kalibrierung der DVFA bei.

PRISC-Scores für die Portfolios von Diversifikator (Stand April 2020)

Hier sind die PRISC Scores der Portfolios (siehe www.diversifikator.com; einige der u.g. Portfolios stehen aber noch nicht online) nach meiner „Policy“ mit 5 genutzten Kategorien und je 20% Gewicht sowie einem Adjustierungsfaktor von 200%:

  • Weltmarktportfolio Basis und Alternatives ETF-Portfolio: Diese Portfolios verfolgen keinen Nachhaltigkeitsansatz und haben deshalb einen Score von 0%
  • Islamic ETF-Portfolio (5 relevante Ausschlusskategorien aber keine Komplettausschlüsse, da 5% Umsatz toleriert werden, deshalb rechne ich nur mit 1-3 Ausschlusskategorien; keine ESG Anforderung in Bezug auf die einzelnen Aktien im ETF): 13% PRISC-Resultat
  • Impact ETF-Portfolio (geschätzt 4-6 Ausschlusskategorien, da z.B. über Infrastruktur und Biotech/Healthcare unerwünschte Segmente wie fossile Energien, Gentechnik und Tierversuche enthalten sein können; deshalb auch nur >70% und <90% geschätzter Impactumsatz statt 100%; keine ESG Anforderungen an die in den ETFs enthaltenen Aktien): 53% PRISC-Resultat
  • ESG ETF-Portfolios (die ESG- bzw. SRI ETFs enthalten zwar in der Regel auch mehr als 3 Ausschlusskategorien, lassen aber auch bis zu 5% oder Umsätze mit „ausgeschlossen“ Segmenten zu, deshalb nehme ich 1-3 Ausschlüsse an; ESG-Scores werden aggregiert gemessen und dabei wird der Best-in-Class (BiC) genutzt; meist werden ESG-Scores <50% ausgeschlossen): 80% PRISC-Resultat
  • Alle direkten ESG Aktienportfolios außer den Impactportfolios (10 harte Ausschlusskategorien; E, S und G werden separat gemessen mit Mindestscores von 50%; Nutzung einer Mischung von Best-in-Class und Best-in-Universe, weil der Datenanbieter kein reines Best-in-Class liefert): 147% PRISC-Resultat
  • Impact ESG Aktienportfolios (s. ESG Aktienportfolios, außerdem werden nur Aktien aus Impactmarktsegmenten genutzt): 187% PRISC-Resultat (siehe https://prof-soehnholz.com/impactesg-innovatives-mischfondsprojekt-der-von-der-heydt-bank/).

Diese Ergebnisse zeigen die Grenzen von nachhaltigen ETFs und warum ich meine Aktienportfolios als besonders streng nachhaltig bezeichne.