ESG-Kritiker: Große aktive Fondsanbieter in der Defensive

ESG-Kritiker sind aber nicht mehr so häufig zu hören wie noch vor einem Jahr. In der Fondsbranche waren ESG-Kritiker bis Ende 2018 gefühlt sogar klar in der Überzahl. Inzwischen ist ziemlich unstrittig, dass die Nutzung von Environmental-, Social- und Governancefaktoren für die Geldanlage eher vor- als nachteilhaft ist. Das gilt für Renditen und Risiken (siehe hier) und auch das Marketing (siehe z.B. https://prof-soehnholz.com/esg-paradox-einfach-zu-verkaufen-und-trotzdem-nicht-angeboten/).

ESG-Kritiker: Tracking Error Vorgaben der Anleger sind das Problem

Große Geldanlageanbieter behaupten oft, dass man nur sehr wenige Großunternehmen aus Nachhaltigkeitsgründen aus ihren Portfolios ausschließen könne. Dazu werden mehrere Gründe aufgeführt, vor allem Benchmarkorientierung (siehe z.B. https://prof-soehnholz.com/esg-investments-warum-weder-aktive-fonds-noch-etfs-ideal-sind/) und große Anlagevolumina. Auch große institutionelle Anleger wollen ebenfalls meist nur einen möglichst geringen Tracking Error zu traditionellen Benchmarks haben. Der große Fondsratingspezialist Morningstar hat prinzipiell aber nichts gegen Ausschlüsse (siehe hier).

Große Anleger und viele Fonds haben eine globale Anlageperspektive. Viele nutzen deshalb Benchmarks wie den MSCI Welt zur Orientierung. Solche Benchmarks enthalten meist zahlreiche „kritische“ Titel aus Nachhaltikeitssicht.

Wenn Anleger davon nicht stark abweichen wollen, dürften sie aber eigentlich aus Kostengründen nur in möglichst günstige Indextrackern investieren. So würden sie ihr Geld den größten Unternehmen weltweit geben und am meisten den am höchsten bewerteten Unternehmen bzw. den Anleiheemittenten mit den höchsten Schulden.

Das ist nicht unbedingt sinnvoll. Ich schlage deshalb vor, streng „verantwortungsvolle“ Benchmarks als offizielle Portfoliobenchmarks zu nutzen (siehe https://prof-soehnholz.com/verantwortungsvolle-als-einzige-offizielle-geldanlage-benchmarks/). So würde das meiste Geld den nachhaltigsten Unternehmen zufließen. Das ist aber leider unrealistisch.

ESG-Kritiker: Performancedruck auf traditionelle aktive Fonds

Aber andererseits weichen fast alle Geldanleger auch heute schon von traditionellen Indizes ab und entsprechend offerieren auch Fondsanbieter nicht nur passive und möglichst breite Indexfonds. In der Realität legen die meisten auch professionellen Anleger einen Großteil ihres Geldes in sogenannten aktiven Fonds an. Diese wollen Outperformance gerade durch Abweichungen von Indizes generieren.

Allerdings produzieren sie nur selten eine positive Outperformance. Aggregiert generieren solche Manager fast immer eine schlechtere Performance als passive Indizes.

ESG-Kritiker: Große Anbieter am stärksten bedroht?

Viele, auch sogenannte „aktive“ Manager, vermeiden zu starke Abweichungen von traditionellen Indizes, weil sie Angst vor zu starker Underperformance haben. Das gilt für allem für Anbieter großer, etablierter Fonds. Außerdem müssen große Anbieter viel Geld anlegen und präferieren daher große, teilweise schon überbewertete Titel. Dafür verlangen sie oft hohe und für sie attraktive Managementgebühren.

Relativ hohe Gebühren für sogenannte „Index Hugger“ werden schon heute stark kritisiert. In Großbritannien laufen dazu sogar intensive offizielle Untersuchungen (siehe z.B. hier beim Evidence Based Investor Robin Powell) und in Norwegen wurde jüngst ein „aktiver“ Fondsanbieter zu Strafzahlungen verurteilt, weil er zu passiv war (s. hier).

ESG-Kritiker: Besser keine ESG-Standards?

Wenn Großanleger bzw. große Fonds ihre Anlagen nachhaltiger anlegen wollen und trotzdem indexnah, könnten sie auf sogenannte nachhaltige Benchmarks umstellen.

Wenn alle Anleger ihr Geld gleichzeitig von den aktuellen Indexschwergewichten abziehen würden und es in die selben nachhaltigen (kleineren) Zielunternehmen anlegen würden, wäre das aber wohl auch nicht unbedingt gut. Das Risiko sehe ich aber nicht, denn es gibt keine anerkannten Standards für Nachhaltigkeit bzw. entsprechende Indizes.

Wenn es einen anerkannten Nachhaltigkeitsstandard geben würde, würde viel Anlegergeld überwiegend in dieselben Unternehmen fließen. Ohne solche Standards wäre das Problem geringer. Vielleicht ist es also ganz gut, dass „verantwortungsvoll“ oder nachhaltig bisher nicht einheitlich definiert wird.

Daseinsberechtigung aktiver Fonds gefährdet?

Professionelle Anbieter von Geldanlagen, also Fondsanbieter und andere Asset Manager sowie individuelle Vermögensverwalter, tun sich schwer damit, auf verantwortungsvolle Geldanlagen umzustellen. Sie haben oft langjährig und kostenintensiv aber letztendlich sehr profitabel Fonds entwickelt, mit denen Anleger angeblich etwas Besonders bekommen: Besonders viel Rendite, besonders niedrige Risiken oder einen besonderen Zugang zu speziellen Anlagesegmenten.

Ihre Anlagemodelle sind oft sehr „sensibel“. Wenn sie nur kleine Änderungen an ihren Anlageregeln vornehmen, z.B. ein zusätzliches Nachhaltigkeitskriterium einführen, könnten sich die Anlageportfolios oft erheblich verändern. Das (intern) zulässige Anlageuniversum würde im Zweifel kleiner werden und die Vergangenheitsergebnisse der Fonds wären nicht mehr aussagekräftig, was für Fonds mit guten vergangenen Ergebnissen wohl nachteilig wäre.

Einige dieser Anbieter ignorieren oder wehren sich deshalb gegen Nachhaltigkeitsansätze oder wollen lasche Vorgaben, die zu möglichst wenigen Änderungen in ihren aktuellen Portfolios führen. So kann man aber keine ernsthaft verantwortungsvollen Portfolios aufbauen.

Pragmatischer Nachhaltigkeitstest

Der erste einfache Nachhaltigkeitstest ist der Blick auf die Benchmark und die erlaubte Abweichung von dieser. Wenn eine sehr breite Benchmark genutzt wird, die Abweichung von dieser (Tracking Error oder Tracking Differenz genannt) nicht zu groß werden soll oder sich sehr viele Titel in einem Portfolio befinden, ist ein strenger Nachhaltigkeitsfokus selten.

Der zweite Test: Ich sehe mir das jeweilige Portfolio an. Wenn ich dort Bestandteile finde, die auf Ausschlußlisten stehen könnten, bin ich skeptisch, ob das Portfolio wirklich verantwortungsvoll ist. Das gilt zum Beispiel für Rüstungslieferanten, Ölkonzerne, traditionelle Energieversorger aber auch chinesische Konzerne oder „Datenkraken“. Dieser Test hat natürlich seine Grenzen, da ich meist nicht die aktuellen Zusammensetzungen der Fonds und auch nicht alle möglicherweise kritischen Unternehmen kenne.

Der dritte Test ist deshalb, die Anlagepolitik des Portfoliomanagers zu verstehen. Das gilt in diesem Zusammenhang natürlich vor allem für den Nachhaltigkeitsansatz (siehe https://prof-soehnholz.com/verantwortungsvolle-geldanlage-fuer-stiftungen-ein-tool-fuer-die-anlagepolitik/).

Anhand der Indexselektion bzw. der Titelanzahl kann man auch nachhaltige ETFs vergleichen. So haben Socially Responsible Indizes (SRI) bzw. ETFs typischerweise weniger Wertpapiere im Index/Portfolio als vergleichbare ESG Indizes/ETFs (siehe https://prof-soehnholz.com/verantwortungsvolle-investments-im-vergleich-sri-etfs-sind-besser-als-esg-etfs/) .

ESG-Kritiker: Greenwashingrisiko

Wenn man sich die Nachhaltigkeitsaktivitäten großer Assetmanager ansieht, stellt man fest, dass zwar auf institutionelle Nachfrage hin Portfolios geändert wurden, für Privatanleger wird aber bisher kaum etwas gemacht. „Verantwortungsvolle“ Produktangebote sind oft nur minimal veränderte Standardfonds mit Maßnahmen, die bisherige Portfolios kaum ändern. Dazu gehören Ausschlüsse von Segmenten wie Streubomben, in die man sowieso nie investiert hat.

Dazu gehören aber auch Stimmrechtsausübungen und angebliches Engagement für nur wenige Portfoliobestandteile oder in Bezug auf wenige Punkte. Starke Veränderungen zum Besseren kann man deshalb bisher nur bei wenigen Unterenhmen festestellen. Außerdem findet man einige Unterzeichner von Selbstverpflichtungen wie den UN PRI, die selbst bisher nur wenig nachhaltig sind (siehe auch https://prof-soehnholz.com/esg-enttaeuschung-kritik-an-asset-managern-und-taxonomie/).

ESG-Kritiker: Kleine Nachhaltigkeitsspezialisten und große Indexanbieter als Gewinner

Auf der Anbieterseite gibt es nur wenige „natürliche“ Gewinner strengerer Nachhaltigkeitsvorgaben. Das sind einerseits kleine Anbieter, die schon seit Längerem versuchen, konsequent für viele/alle ihrer Angebote auf Nachhaltigkeit zu setzen.

Außerdem könnten auch große Indexfondsanbieter gewinnen. Es ist zu erwarten, dass verantwortungsvolle Indizes künftig viel wichtiger werden (siehe z.B. https://prof-soehnholz.com/esg-indexzukunft-sehr-positiv/). Wenn Anleger in großem Stil von traditionellen Indizes auf verantwortungsvolle Indizes umschichten, sollten Indexfondsanbieter davon profitieren, da sie solche Produkte wahrscheinlich zumindest anfangs relativ teuer verkaufen können.

Große Anbieter traditioneller aktiver Fonds werden es dagegen schwer haben, ihre Fonds auf streng nachhaltige Kriterien umzustellen und dabei ihre Anleger zu halten (siehe auch https://prof-soehnholz.com/haben-fondsanbieter-angst-vor-reportingtransparenz/).

Gutes Potential für „Ökobanken“ und Risiken für traditionelle Banken

Ähnliches gilt auch für Berater und Vermittler. Wer nicht frühzeitig und ernsthaft nachhaltige Angebote macht, wird es künftig schwer haben. Das spricht für starkes Wachstum für Anbieter wie die GLS, die Sozialbank und die Triodos Bank und gegen viele andere Banken und Vermögensverwalter, wenn sie sich nicht rechtzeitig umstellen.