Bonuskritik

ESG Boni abschaffen und mehr radikale Vorschläge

Ich bin nicht der einzige Kritiker. „So wird Deutschland kein führender Sustainable Finance-Standort“ meint Professor Harald Bolsinger bei CSR News. „Die Empfehlungen des Beirats sind zwar “konkret und praxistauglich”, aber völlig unzureichend, um im europäischen Umfeld wirklich Großes zu bewegen!“ schreibt der Würzburger Wirtschaftsethiker. Er kritisiert vor allem den Fokus auf die Finanzwirtschaft und die Vernachlässigung von Verbesserungen der Realwirtschaft. Allerdings war es die Aufgabe des Beirates, Vorschläge für den Finanzstandort und nicht für die Realwirtschaft zu machen.

Umdenken von Real- und Finanzwirtschaft erforderlich: Externe Effekte müssen adäquat berücksichtigt werden

Die potenziellen indirekten Wirkungen der Finanzbranche auf die Realwirtschaft können sehr groß sein. Ob die deutsche Finanzbranche alleine viel bewegen kann, ist fraglich. Aber sie kann und sollte klare Signale setzen für die deutsche und vor allem die europäische und die internationale Politik.

Um zu einem führenden Nachhaltigkeitsstandort zu werden, brauchen wir ein Umdenken. Aus Unternehmenssicht heißt das: Negative externe Effekte müssen systematisch berücksichtigt und transparent gemacht werden. Und aus Anlegersicht heißt das: Künftig sollte man nicht begründen müssen, warum man möglichst nachhaltig investiert. Man sollte begründen müssen, warum und welche Nachhaltigkeitskompromisse man macht.

Damit geht mein Vorschlag über das grundsätzlich gute Konzept der neuen Offenlegungsverordnung (SFDR) und neue MIFID-Anforderungen hinaus. Demnach müssen Anleger künftig aktiv danach gefragt werden, ob sie nachhaltiger anlegen wollen. Wenn das bejaht wird, dürfen keine nicht-nachhaltigen Investments mehr angeboten werden.

Meinem Vorschlag zufolge müssten Anbieter von nicht nachhaltigen Geldanlagen künftig begründen, warum sie zum Beispiel noch Aktien von Unternehmen mit Ölproduktion im Portfolio haben. Dabei reicht es nicht zu behaupten, dass ohne Aktienkäufe solcher Unternehmen kein Öl mehr produziert würde, denn das stimmt natürlich nicht. Solange Öl- gebraucht wird, werden Abnehmer dafür zahlen. Ölproduzenten können Investitionen aus Umsatz, Krediten oder auch zusätzlichem nicht-börsennotiertes Eigenkapital finanzieren. Es reicht auch nicht zu behaupten, dass ohne Ölunternehmen keine ausreichende Diversifikation mehr im Portfolio vorhanden ist. Niemand muss in Aktien aller Branchen und Länder investieren, um eine ausreichende Diversifikation zu erreichen. Mein fast nur nach ESG-Kriterien zusammengestelltes Portfolio von nur 30 Aktien zeigt das anschaulich (s. Global Equities ESG Portfolio auf www.diversifikator.com).

ESG Boni: Nachhaltigkeitsratings müssen nicht vereinheitlicht werden

Was nachhaltig ist, soll in der EU Taxonomie möglichst einheitlich geregelt werden. Die Konkretisierung und Umsetzung der Taxonomie dauert aber sehr lange. Ich habe deshalb andere bzw. ergänzende Vorschläge:

Es gibt etliche nicht-finanzielle Informationen, die zum Beispiel in Nachhaltigkeitsratings zusammengefasst werden. Weltweit gibt es inzwischen mehrere hundert solcher Klassifikationen. Für manche Anleger sind soziale Aspekte wichtiger, für andere ökologische oder Governanceaspekte. Unterschiedliche Nachhaltigkeitsdefinitionen und Nachhaltigkeitsmessungen können deshalb ruhig miteinander konkurrieren. Damit würden auch nicht alle Anleger in dieselben gut ESG gerateten Wertpapiere investieren.

Als warnender Hinweis für das Risiko von Vereinheitlichungen können Kreditratings gelten. Vor der Finanzkrise 2008 gab es einen de Facto Standard dafür. Zahlreiche der von fast allen Anbietern sehr gut gerateten Wertpapiere waren aber sehr riskant.

Leider gibt es immer noch viele Marktteilnehmer, die einheitliche Nachhaltigkeitsdefinitionen und Regulierungen abwarten wollen, bevor sie etwas zum Positiven verändern. Darauf sollte aber nicht gewartet werden.

Außerdem sollte verhindert werden, dass Nachhaltigkeitsratinganbieter zu viel Macht bekommen. Die Offenlegungsverordnung führt schon heute dazu, dass die großen und teuren Nachhaltigkeitsdatenanbieter MSCI und ISS über ihre Verträge mit Kapitalverwaltungsgesellschaften zu de-facto Standardsettern werden. Fondsanbieter werden so fast dazu gezwungen, ebenfalls die teuren Ratings von MSCI und ISS zu nutzen. Dabei gibt es andere Ratinganbieter, die mehr Unternehmen raten, mehr Details zur Individualisierung in einer höheren Frequenz bereitstellen und dabei noch günstiger sind.  

ESG Boni: Fehlende Preise für die meisten negativen externen Effekte

Bei vielen Wissenschaftlern gelten CO2-Zertifikate als ein gutes Instrument, um den Klimawandel marktkonform zu bekämpfen. Allerdings müssten die Preise dafür wohl viel höher sein, als sie heute üblich sind, um die Kosten für die Beseitigung bzw. Kompensation der negativen externen Effekte zu tragen. Neben Kosten für CO2 Emissionen müssten aber vor allem auch Wasserverschmutzung, Schädigung von Biodiversität, negative soziale Effekte etc. bepreist werden.

Das sollte nicht nur für deutsche Unternehmen geben, sondern für alle Produkte und Services, die in Deutschland verkauft werden. Deutsche Produzenten sollen schließlich nicht zu Lasten umweltunfreundlicher anderer Anbieter benachteiligt werden.

Finanzinnovation Umwelt- und Sozialzertifikate: Versuch einer Operationalisierung

Wenn aber schon kein einigermaßen adäquater Preis für relativ einfach zu berechnende CO2 Emissionen gefunden werden kann, wie soll das erst mit den anderen externen Effekten möglich sein? Eines der Probleme dabei oft versucht wird, externe Effekte für einzelne Produkte oder Services zu berechnen. Das ist sehr schwierig.

Meine Idee: Statt CO2 Zertifikate könnte es unternehmensbezogene Umwelt- und Sozialzertifikate geben. Die Basis dafür könnten Umwelt- und Sozialratings (ES-Ratings) von Unternehmen sein. Anstatt auf eine offizielle Definition zu warten, könnte man die Ratings von mehreren anerkannten Ratingagenturen aggregieren. Unternehmen mit schlechten ES-Ratings müssten mehr Zertifikate kaufen als solche mit guten ES-Ratings. Der Handel mit solchen Zertifikaten sollte möglich sein und das Angebot sollte im Laufe der Zeit verknappt werden.

Außerdem sollten Unternehmen verpflichtet werden, ihre ES-Ratings zu veröffentlichen und Kunden, Anlegern und anderen Stakeholdern proaktiv zur Verfügung stellen. Im besten Fall findet man solche Ratings auf allen Produkten von Unternehmen. So können sich potenzielle Käufer von ähnlichen Produkten für das Angebot mit dem besseren ES-Unternehmensrating entscheiden.

Meines Erachtens wäre das eine sehr interessante deutsche nachhaltige Finanzinnovation. Vor einigen Jahren habe ich einigen bekannten Handelsunternehmen angeboten, Ihnen bei der Umsetzung eines solchen Konzeptes zu helfen. Leider habe ich kein einziges gefunden, dass daran interessiert war, obwohl meine Lösung sehr kosteneffizient ist. Ich hoffe, dass sich das künftig ändert.

ESG Boni: Kaum Risiko für die Realwirtschaft?

Öl und Gas und viele andere von streng nachhaltigen Anlegern kritisierte Güter und Services werden noch viele Jahre und für zahlreiche Zwecke benötigt. Dafür bezahlen die Nutzer bzw. Käufer dieser Produkte typischerweise direkt und generieren so Umsatz beim Produzenten. Erforderliche neue Investitionen zum Beispiel in bessere Umwelttechnik können so wahrscheinlich auch künftig überwiegend eigen- oder kreditfinanziert werden. Die Aktien solcher Gesellschaften müssen nicht unbedingt börsennotiert werden und Streubesitz in Händen von unerfahrenen Kleinanlegern ist auch nicht erforderlich.

Es ist aber wahrscheinlich, dass die Aktienkurse von wenig nachhaltigen Unternehmen fallen, wenn Anleger ihre Aktien nicht mehr kaufen. Das heißt aber nicht, dass dann viel weniger Öl oder Gas etc. produziert wird.

ESG Boni: Umfassende Reduktion schädlicher Subventionen

Der Sustainable Finance Bericht beschäftigt sich vor allem mit den Möglichkeiten des Finanzbereiches. Es werden auch gute Hinweise an den Staat gegeben, der nachhaltiger anlegen soll. Zusätzlich sollte aber gefordert werden, Umwelt- und sozialschädliche Subventionen abzubauen.

Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat kürzlich einen Bericht zu klimaschädlichen Subventionen mit dem folgenden Fazit veröffentlicht: „Fast alle Subventionen haben ein Volumen von mehreren Milliarden Euro. …. Auch zeigt sich, dass der Status Quo der klimaschädlichen Subventionen in vielen Fällen vor allem reicheren Haushalten nutzt und der Subventionsabbau sozialverträglich gestaltet werden kann“ (vgl. Zehn klimaschädliche Subventionen sozial gerecht abbauen – ein Zeitplan – Eine Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft im Auftrag von Greenpeace vom 25. Februar 2021, S. 7).

Ein Teil der eingesparten Subventionen könnte genutzt werden, um den deutschen Nachhaltigkeitsstandort voranzubringen.

ESG Boni: Keine nachhaltigen Vergütungskomponenten

Der Sustainable Finance Beirat fordert auch: „Im Vergütungssystem sollen wesentliche »nicht-finanzielle« Leistungskriterien für die Gewährung variabler Vergütungsbausteine festgelegt werden. Der nachhaltigkeitsbezogene Vergütungsanteil sollte 30 % nicht unterschreiten“ (S. 96).

Ich habe in meinem Berufsleben schon mehrere Bonussysteme entwickelt. Das Problem ist, dass typischerweise mehrere Ziele erreicht werden sollen, z.B. individuelle Ziele, Team- oder Gruppenziele und Unternehmensziele. Meist werden dafür auch Ziele für mehrere Kriterien gesetzt, z.B. mehrere ökonomische und nicht-ökonomische Ziele. Außerdem werden Ziele oft auch noch zeitabhängig in Kurz-, Mittel- und Langfristziele unterschieden.

Für ESG-Boni muss man sich zudem fragen, ob z.B. ein aggregierter besserer ESG-Score erreicht werden soll? Das könnte „nur“ mit besserer Governance erfolgen zu Lasten von E und S. Oder sollen separate Ziele für E, S und G gesetzt werden? Muss bei E auch noch nach Luft (CO2) und Wasser etc. differenziert werden ….?

Wenn die Erreichung bzw. Nichterreichung jedes der Teilziele spürbare finanzielle Auswirkungen haben soll, muss der Bonuspool insgesamt sehr groß sein. Konkret: Je nach Basisgehalt jeweils mindestens 10.000 oder 100.000 Euro oder mehr für die jeweilige Unterzielerreichung. Wenn es auch negative Boni geben würde, wenn Ziele nicht erreicht werden, wäre ich weniger kritisch. Im schlechtesten Fall wird jedoch nur ein 0-Bonus gezahlt.

Zusätzliche Ziele führen deshalb meist zu einem insgesamt größeren Bonuspool bzw. Bonuspotentialen (vgl. Ana Albuquerque, Mary Ellen Carter, Luann J. Lynch: Complexity of CEO Compensation Packages, vom November 2015; Alex Edmans, Xavier Gabaix, Dirk Jenter: Executive Compensation: A Survey of Theory and Evidence, Cesifo Working Papers vom Juli 2017; vgl. Anti-nachhaltig: ESG Boni und mehr – Verantwortungsvolle (ESG) Geldanlage (prof-soehnholz.com).

Zusätzliche ESG Boni fördern damit tendenziell ungerechte Einkommensverteilungen. Führungskräfte sollten sowieso für alle Stakeholder ihres Unternehmens arbeiten. Wenn sie nicht von sich aus auf gute ökologische und soziale Bedingungen achten, gibt es auch nichtmonetäre Mittel, zum Beispiel solche, die auf den Ruf zielen. Wenn Führungskräfte nicht nachhaltig agieren, kann man sie ja auch mit Rügen bis hin zu Nichtverlängerung von Verträgen oder sogar Entlassungen bestrafen. Das halte ich für wesentlich sinnvoller.

ESG Boni: Umgekehrte Beweispflicht für Anlageangebote: Benchmarks aus besonders nachhaltigen Wertpapieren

Heute nutzen Anleger meist Aktien- oder Anleiheindizes als Vergleichsmaßstäbe bzw. Benchmarks, die meist nur die am höchsten kapitalisierten Wertpapiere enthalten. Obwohl diese Indizes oft tausende von Wertpapieren umfassen, sind sie oft weniger diversifiziert als gedacht. Vor den entsprechenden Marktkrisen gab es früher hohe Anteile von japanischen, .COM oder Immobilienpreisabhängigen Wertpapieren in diesen Benchmarks.

Trotzdem müssen selbst Großanleger oft Gründe liefern, wenn sie von solchen traditionellen Benchmarks abweichen wollen. Die Anleger sollen zeigen, dass der Verzicht auf nicht-nachhaltige Wertpapiere keine Renditenachteile oder höhere Risiken mit sich bringt. Für den bzw. die Entscheider kann es ein Jobrisiko sein, wenn die von ihnen gewählte Anlage zeitweise schlechter läuft als ein breiter traditioneller Index.

Künftig sollten Anleger Benchmarks nutzen, die nur die nachhaltigsten Wertpapiere enthalten. Anders als heute müssten Anleger und auch Produktanbieter dann begründen, warum sie gegebenenfalls nicht so nachhaltige Wertpapiere in ihren Portfolios zulassen. Diese Maßnahme könnte sehr schnell und kostengünstig zu erheblich mehr nachhaltigen Geldanlagen führen.

Vertriebsprovisionsabbau

Auch wenn es heute schon manchmal anders erscheint: Der größte Teil aller Geldanlageangebote sind nicht oder allenfalls sehr wenig nachhaltig. Das gilt auch für die größten Produktanbieter und Produkte, wie die vielen negativen Berichte zu Blackrock und Vanguard zeigen.

Strengere Nachhaltigkeit erfordert Änderungen an diesen Produkten und an deren Vermarktungen. Das mögen vor allem Anbieter sogenannter aktiver Fonds nicht gerne. Ich erwarte aber nur geringe Änderungen und weiterhin sehr hohe Marketingaufwendungen für die Vermarktung wenig nachhaltiger Produkte. Diese nicht- bzw. sogar anti-nachhaltigen Marketingkampagnen werden zu einem Großteil mit Vertriebsprovisionen finanziert. Ich ein Verbot von Vertriebsprovisionen von Geldanlageprodukten für wichtig, damit neue streng nachhaltige Produkte und auch kleine Anbieter mehr Chancen erhalten. Sogar Morningstar meint “that by lowering the cost of investment products via commission-free share classes and by unbundling other expenses from the cost of investment management, transparency improves and investors benefit” (Global Investor Experience Study: Fees and Expenses von Morningstar vom 17. September 2019, S. 7).